
Viele Jahre machten große internationale Tanzgastspiele einen Bogen um Berlin. Seit 2023 ist das anders: Bereits im dritten Jahrgang hat der Tanz im Rahmen der Performing Arts Season eine neue Heimstatt im Haus der Berliner Festspiele gefunden. Im Wechsel mit Theater und Performance teilt er sich die imposant geeignete Bühne mit Bestsicht von allen Plätzen. Tanzauftakt war Akram Khans letzte Tourneeproduktion, „Thikra: Night of Remembering“. Aus einer entzündlich roten Berghöhle dirigiert die Matriarchin eine Beschwörerin, die an einem Medium ein uraltes Ritual zelebriert: das Massieren der Gebeine von Ahninnen, um ihnen neues Leben zu verleihen. Khan verflicht in seiner rein weiblich besetzten, ganz erdverbundenen Choreografie raumfüllend, variant, filigran und ungemein expressiv Bharatanatyam und zeitgenössischen Tanz mit meditativer Musik zu einer fesselnd rauschhaften einstündigen Gesamtkomposition, der man sich kaum entziehen kann.
Es sind nicht unbedingt Rituale, die Eun-Me Ahn in „Post-Orientalist Express“ auf die Szene stellt. Vielmehr lässt sie wie in einem Expresszug Traditionen des asiatischen Kulturraums am Zuschauer vorüberziehen, in einer fantasiereich aufgepoppten Präsentation, mit paillettenglitzernden, stoffüppigen Kostümen unter Dauerschnee. Es mag auch eine so fröhliche wie rasante Abrechnung mit europäischen Sichtweisen auf und Erwartungen an die Bühnenkunst Asiens sein. Am Ende scheint sich alles in eine Art Asia-Disko aufzulösen, das Heute bedrängt das Überlieferte, westliche Einflüsse sind nicht auszuschließen. Was Eun-Me Ahn, im Schlussteil selbst mit auf der Bühne, den je vier Tänzerinnen und Tänzern ihrer 1988 in Südkorea gegründeten Truppe abfordert, an Tempo, Tanzintensität, Akrobatik, Kleiderwechsel, ist schlichtweg phänomenal. Dieser farbenfrohe Express bezaubert!
Volkmar DRAEGER





