Getanzte Inklusion im Schmuckmuseum
Die querschnittgelähmte Sophie Hauenherm wird bei den Aufführungen des Ballettensembles im Schmuckmuseum integriert und tanzt eine herausragende Gastrolle
Das war für sie einer der schönsten Momente: Als sie bei der Eröffnung der Ausstellung „Influenza-M“ vor wenigen Tagen hinter einer Scheibe im Eingangsbereich des Alfons-Kern-Turms stand und für ihre Tanzperformance bewundert wurde. Wenig später saß sie, zum Erstaunen ihres Publikums, wieder im Rollstuhl. „Die dachten, das sei nur Verkleidung gewesen“, sagt Sophie Hauenherm und deutet auf die Beinschienen. Ohne die könnte die 19-Jährige nicht stehen, die dann auch nur mit Mühe ein paar Meter im Gehen zurücklegen kann. Sophie Hauenherm ist seit einem durch Bakterien ausgelösten Abszess, der die Nerven ihrer Beine abquetschte, querschnittgelähmt. Umso wichtiger für die Balletttänzerin, dass sie im Alfons-Kern-Turm als solche wahrgenommen wurde.
Und nun steht die junge Frau, die sehr nüchtern mit ihrem Handicap umgeht und nicht nur dem Gesprächspartner, sondern auch ihrem Schicksal offen in die Augen schaut, wieder auf der Bühne. Das heißt: sie erobert zusammen mit dem Ensemble des Stadttheaters Pforzheim bei der Uraufführung der Produktion „Perfekt unperfekt“ gleich das ganze Schmuckmuseum. Das Engagement am Stadttheater in Pforzheim für den im Schmuckmuseum viermalig aufgeführten Ballettabend (weitere Aufführungen am 17. November sowie am 1. und 2. Dezember jeweils ab 20 Uhr) wird vom Land Baden-Württemberg bezahlt, das laut Intendant Thomas Münstermann „sehr genau beobachtet, was wir hier machen“. Zum Beispiel mit Ballettchef Guido Markowitz und seinem Stellvertreter Damian Gmür eine aufs Haus zugeschnittene Ballettaufführung einzustudieren. In die wird Sophie Hauenherm sozusagen als tanzendes Beispiel der Inklusion eingebaut. „Die Tänzer arbeiten mit den Bewegungen, die für Sophie möglich sind“, erklärt Guido Markowitz. Das sieht dann so aus, dass man das Stützen der Gruppe kaum sieht oder dass sie sanft gehalten von ihren Ensemblekollegen ihren Körper lang macht und eine Waagerechte begibt. „Tanz ist der Ausdruck des Körpers.
Man braucht nicht immer die Beine dazu“, sagt sie. Und: „Die Kompanie passt sich an meine Möglichkeiten an.“ Sie traue sich dadurch mehr zu, sagt Sophie Hauenherm, die sich in Pforzheim herzlich aufgenommen (und wohl auch getragen) fühlt. Und ganz normal mit trainiert, wenn man davon absieht, dass sie keine Sprünge machen. „Ich will normal behandelt und nicht mit Samthandschuhen angefasst werden.“ Ehrgeizig sei sie schon immer gewesen. „Vielleicht auch zu ehrgeizig“, fügt die gebürtige Leipzigerin mit Wohnort in Dresden lächelnd hinzu. „Aber jetzt sagt mir mein Körper schon, wann es genug ist. Dann bekomme ich Spasmen, das ist eine Folgeerscheinung der Querschnittlähmung.“ Für die junge Frau, die bereits im Alter von zwölf Jahren ihr Elternhaus verließ, um im Tanz-Internat ihren Traum zu verfolgen, war die Diagnose ein Schock. Starke Rückenschmerzen veranlassten sie, zum Arzt zu gehen. „Ich habe auch ein Jahr lang mit einem gebrochenen Zeh getanzt, aber da wusste ich, die Schmerzgrenze ist bei weitem überschritten.“ Erst als sie ihre Beine nicht mehr bewegen konnte kam sie „in die Röhre“.
Nach monatelangem Krankenhausaufenthalt, nach weiteren Monaten der Rehabilitation hat sie auch ihre ehemalige Palucca Hochschule für Tanz in Dresden besucht. Im Rollstuhl. Um zu schauen, wie es sich anfühlt. „Die Leute haben mir gesagt, wie glücklich ich aussehe.“ Da wusste sie: „Tanz ist mein Leben.“ Sogar ihre Bachelorprüfung hat die querschnittgelähmte junge Frau dann bestanden. Tanzend wohlgemerkt. „Ich habe eine eigene Choreographie mit einem Stuhl ausgearbeitet.“ Die hat sie auch an verschiedenen anderen Orten mittlerweile aufgeführt. Und viel Applaus erhalten. Ob sie jemals wieder wird laufen können ohne Spangen, das weiß sie nicht. „Ich lebe nur im Augenblick und genieße es, dass ich hier in Pforzheim tanzen darf.“ Dann fügt sie noch hinzu: „In der Klinik habe ich jeden Tag die Bettdecke zurückgeschlagen, um zu schauen, was ich bewegen kann. Das ging vor zwei Wochen noch nicht: dass ich eine Brücke machen kann.“ Vor zehn Monaten konnte Sophie Hauenherm sich nicht mal allein waschen. Und jetzt geht sie als krönender Abschluss sozusagen und als lebender Beweis, dass menschlicher Wille und Ausdauer sogar zu einem „Aufstieg“ aus dem Rollstuhl verhelfen können, am Ende des Ballettabends ohne ihre Beinschienen – die sie mit fast wütenden Bewegungen von ihren Beinen reißt – quer durch den Saal auf das Ballettensemble zu und lässt sich in einer Umarmung auffangen. Ein schöneres Schlussbild kann es nicht geben.
Artikel von Susanne Roth