Louis Steinmetz, Michelangelo Chelucci, Sandra Bourdais © Rahi Rezvani
Performance

Nussknacker mit Biss: Marco Goeckes Weihnachtsvision

von  Evelyn KLÖTI

Marco Goecke präsentiert als zweite Premiere in seiner ersten Saison am Theater Basel einen neuen Nussknacker  – mit Tempo und Humor. Dem Publikum gefällt’s.

Bevor die ersten, altbekannten Nussknacker-Töne erklingen, knarzt es gewaltig aus allen Ecken des Theater Basel: Holz, uraltes, arbeitet – als ob ein riesengroßer Nussknacker keine Nuss knackt, sondern ins Leere beißt und mit den Zähnen knirscht, ganz tief. In die Tiefe geht auch Marco Goeckes Neukreation des Tschaikowski-Klassikers, den er 2006 in Stuttgart als sein erstes Handlungsballett auf die Bühne gebracht hat. Dunkel, eher schrill als still und mit dem Fokus auf Marie, den Paten Drosselmeier und den Nussknackerprinzen in einer unvergesslichen Hose mit echten, schweren, schwarzen Walnüssen.

Der Basler Nussknacker ist auch dark und grotesk, im Zentrum jedoch stehen die Geschwister Fritz (Louis Steinmetz) und Marie (Sandra Bourdais). Wir sehen die Welt an diesem Weihnachtsabend durch ihre Augen, die Welt der Erwachsenen bleibt außen vor. Pate Drosselmeier (Michelangelo Chelucci), mehr Magier als Mechanicus, erscheint in einem hinreißenden Mantel aus Glocken – klingeling! – aus dem Dunkel der Bühne (Kostüm- und Bühnenbild: Michaela Springer) und erfüllt den Kindern jeden Wunsch.

Einen tüchtigen Fuchs wünscht sich Fritz – ein rotes Pferd im Kunstmärchen von E.T.A. Hoffmann, bei Goecke das Raubtier – und schon taucht Parker Gamble auf mit brillanten kleinen Sprüngen.

Sandra Bourdais, Michelangelo Chelucci, Louis Steinmetz © Rahi Rezvani

Marco Goecke liebt schnelle Tempi und man habe sich bei der Wiedergabe der Original-Partitur auf eine flotte Geschwindigkeit geeinigt, die auch von Tschaikowski vorgegeben sei, schreibt Thomas Herzog, der Basler Dirigent, im Programmheft. Seine Bindung zum Nussknacker ist eng. Als Kind hat er die Versionen von Heinz Spoerli und Youri Vámos gesehen, in Richard Wherlocks Adaption als Schlagzeuger im Orchester mitgespielt. Er dirigiert das Sinfonieorchester Basel mit großer Präzision, sodass sich die Energie und Virtuosität auf der Bühne und im Orchestergraben zusammen steigern.

Angst einflößende Figuren wie der General (Floris Puts) und der Rattenkönig (Rosario Guerra) erscheinen, aber auch die Schneekönigin (Ana Paula Camargo) und die Zuckerfee (Giada Zanotti) tauchen auf und interagieren mit den Geschwistern. Und der Nussknacker? Es gibt zwei davon: einen alten und einen neuen, beide scheinen ausgedient zu haben. Jamal Uhlmann – versehrt und verletzt – zieht sich im Zuckerland in Slow Motion von der Rampe zurück, während drei Blumen in pinken Pluderhosen ein bisschen Farbe ins Dunkel zu bringen versuchen. Wer wer ist, ist nicht immer klar. Denn Goecke entschlackt nicht nur den Ballettklassiker, sondern auch Hoffmanns Kunstmärchen, dessen verschachtelte Erzählweise Christian Spuck in seinem „Nussknacker und Mausekönig“ (2017 in Zürich) raffiniert umgesetzt hat.

Jamal Uhlmann, Sandra Bourdais © Rahi Rezvani
Eva Blunno, Lydia Caruso © Rahi Rezvani

Auch wenn in der großartigen Videoprojektion auf der Rückwand von Philipp Contag-Lada helle Sterne, Konfetti und Schneeflocken ihren eigenen Tanz aufführen und ganz am Schluss sogar Schnee vom Bühnenhimmel fällt – weißer, nicht schwarzer wie damals in Stuttgart – überwiegen die brutalen Bilder von Soldaten mit angelegtem Gewehr, von Chaos und Schmerz. Eigentlich die totale Tristesse, wenn nicht immer wieder Goeckes Humor und die rührende Geschwisterliebe aufblitzten. Das Ensemble aus eingefleischten Goecke-Tänzern und Tänzerinnen überzeugt mit seiner Präzision und man verlässt das Theater trotzdem beglückt und wünscht sich beruhigenden Schnee. Wenigstens an Weihnachten.