An diesen unbestechlichen Sinn für Eleganz, Detailschärfe und Humor, der die Arbeit mit der Choreografin und Regisseurin Ute Raab, die vergangenem Sonnabend im Alter von 56 Jahren ihrem Krebsleiden erlag, erinnert der Dresdner Künstler Tobias Herzz Hallbauer. Der Musiker, Sänger und vor allem kreativ Grenzen der Genres verbindende Künstler lernte Ute Raab 1997 am Staatsschauspiel kennen. Hier gehörte sie als Choreografin, die es in besonderer Weise vermochte genau jene Bewegungsformen zu entwickeln, die Schauspielerinnen und Schauspieler, Sängerinnen und Sänger zum Tanzen brachten und dennoch individuell authentisch zu bleiben. Er war dabei, wird sich gerne erinnern: „Die schöne Helena“ im Großen Garten, die Filmadaption „Clockwork Orange“ im Schauspielhaus, „I hired a Contract Killer“ von Aki Kaurismäki im TIF – Theater in der Fabrik. Da war die Zusammenarbeit mit dem Regisseur Klaus Dieter Kirst, „Das kalte Herz“ nach Hauff oder Anton Tschechows „Der Kirschgarten“. Am Kleinen Haus machte nicht zuletzt ihre Mitarbeit die Bühnenfassung von Hermann Hesse „Der Steppenwolf“ zum Erfolg. Für Tobias Herzz Hallbauer begann die „richtige“ Zusammenarbeit mit Ute Raab 2017 bei freien Produktionen, wie z.B. der Theaterfassung nach dem Film „Der Himmel über Berlin“.
An den Landesbühnen folgte als eine der letzten Inszenierungen mit ihr „Der gestiefelte Kater“. Im vergangenen Jahr, schon stark von der Krankheit gezeichnet, in intensiver Therapiephase, noch eine intensive Zusammenarbeit im Dresdner Zentralwerk, das Monologstück „Der Trinker“ nach Fallada. Das war ihr Abschied von der Bühne.
So wie sich Tobias Herzz Hallbauer an diese letzte Phase ungebrochener Kreativität erinnert, so auch Stefan Wiel, seit 2003 Ausstattungsleiter an den Landesbühnen Sachsen, an die erste choreografische Arbeit von Ute Raab, 1986, am Theater in Bautzen. Diese Choreografie für die Oper „Die verkaufte Braut“ war die Diplomarbeit für die Hallenserin nach erfolgreichem Choreografiestudium an der Theaterhochschule Hans Otto in Leipzig.
Bis heute erinnert sich Stefan Wiel daran, dass die Absolventin völlig professionell einstieg, sich sofort als „dramaturgisch denkende Choreografin mit einem klaren Gefühl für tänzerische Momente als auch für die Gesamtwirkung der Inszenierung“, einbrachte.
Immer wieder, so Wiel, den bald eine eine persönliche Freundschaft mit ihr verband, brachte Ute Raab in die auch vor allem an den Landesbühnen folgenden, gemeinsamen Arbeiten ihr „gutes Gefühl für ästhetisches Zusammenspiel von Bewegung, Musik und Bild“, ein. Das erwies sich auch in der Zusammenarbeit mit Jan Michael Horstmann, der es wagte als Dirigent und Regisseur eines der anspruchsvollsten Werke barocker, französischer Operntradition auf die Radebeuler Bühne zu bringen ohne auf die für dieses Genre so typische Ballettmusik zu verzichten, mehr noch, auf den Tanz: „Médée“ von Marc-Antoine Charpentier. Das war nur möglich, so angesichts ihres Todes, Jan Michael Horstmann, am Telefon, in der Zusammenarbeit mit einer Choreografin wie Ute Raab. Sie verstand es eben ganz der Musik entsprungene Bewegungen zu kreieren, die für ihn in der lebendiger Erinnerung, auch an den Humor der Ute Raab eigen war, „Pina Bausch und Ludwig Ludwig XIV zusammen treffen ließen“.
Bald wurde man auch außerhalb Dresdens auf Ute Raab aufmerksam, die nach ihren Jahren von 1993 bis 1997 als Chefchoreografien am Theater in Plauen, wo sie auch die Tanztage begründete, sich im besten Sinne des Wortes frei machte, und sich bald als Choreografin oder Regisseurin, mehr noch wenn sie beide Künste vereinen konnte, einen Namen machte. Bald wurde sie an bedeutende Bühnen wie Krefeld-Mönchengladbach, Schauspiel Bonn und Frankfurt, nach Oberhausen oder als Dozentin an die Universität für Musik und darstellende Kunst in Graz verpflichtet und kehrte als Lehrende an die Leipziger Theaterhochschule zurück. In Leipzig erhielt sie auch 2006 den Sonderpreis der euro-scene für „Das beste deutsche Tanzsolo“. Mit einer Arbeit, die weithin mit Begeisterung wahrgenommen wurde, kreierte sie zunächst am Thalia-Theater ihrer Heimatstadt Halle das Stück ohne Wort, „Das Ballhaus“ nach „Le Bal“, 1983 am Theatre du Champagnol in Paris uraufgeführt, weltberühmt geworden durch die Verfilmung von Ettore Scola. Ute Raab nannte dieses Stück eine „Perle“ der Theatergeschichte. Für diese 80 Jahre der Geschichte eines Ballhauses, mit Höhen und Tiefen, mit Pracht und Armseligkeit, mit der Kunst ohne Worte Menschen unterschiedlichster Art zusammenzuführen, sich verlieren zu lassen, sich zu lieben, zu verlassen, Verklemmte, Exaltierte, Denunzianten, Ganoven, Schüchterne und Draufgänger, konnte sie in der Zusammenarbeit mit den Schauspielerinnen und Schauspielern die ungeahnte Weite der Facetten des Ausdrucks durch den Tanz im Zusammenklang mit Musik und Raum erkunden. Ute Raab sagte dazu, dass Menschen, wenn sie im Alltag belastet seien, „Tanzformen entwickeln, die befreiend sind.“
Und an diese befreienden Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Ute Raab erinnert sich auch die Sängern Iris Stefanie Meier, mit der sie das Stück für eine Frau „Heute Abend Lola Blau“ mit der Musik von Georg Kreisler 2017 im Kulturbahnhof Radebeul-Ost inszenierte. Die Krankheit war schon fortgeschritten, der Probenbeginn wurde verlegt, und dennoch, so die Sängerin, „Wir legten beide unsere ganze Seele in diese Produktion, wir haben jedes Wort herausgearbeitet, jede Art von Äußerlichkeiten wurde vermieden, selbst die Haltung des kleinen Fingers wurde korrigiert, wenn es aus ihrer Sicht nötig war.“ Und ihrer Sicht konnte sich Iris Stefanie Meier ganz sicher anvertrauen. Bei allem, auch das ist lebendig in der Erinnerung, den Humor hatte Ute Raab nie verloren, der machte sie stark. Ließ sie mit den immer stärker spürbaren Belastungen der Krankheit umgehen und dennoch nach anstrengenden Therapien „gut gelaunt und voller Energie“ auf sie Probe kommen. An eine Nachricht, deren Text diese dankbare Rückschau auch beenden soll, erinnert sich Iris Stefanie im genauen Wortlaut, den sie ihr einmal schrieb: „Liebe Iris! Bin aus der Praxis raus. Komme 10.48 Uhr Bahnhof Neustadt an. Sammelst Du mich ein und dann fahren wir singend, den Krankenhäusern und Ärzten entfliehend, auf unsere Probe!!! Liebsten Gruss, Ute.“
Boris Gruhl