Mit Elisa Carrilo Cabrera in „Onegin“ von John Cranko © Carlos Quezada
People

Mikhail Kaniskin: 25 Jahre Jahre Tänzerlaufbahn

Ballett ist wie eine Insel zur Rettung der Seele

Mikhail Kaniskin, langjähriger Principal beim Staatsballett Berlin, über seine Vergangenheit und seine Zukunft

 

Jede Tänzerkarriere hat einen Beginn: Wie war Ihr Beginn?

Mit fünf habe ich auf einem unserer beiden Fernsehkanäle georgischen Tanz entdeckt und tanzte einfach mit. Meine Oma brachte mich in eine staatliche Schule für georgischen Tanz, ganz nah an unserer Moskauer Wohnung. Vier Jahre blieb ich dort. Als meine Mutter von einer Audition an der Bolschoi-Akademie erfuhr, hat sie mich angemeldet. Ich zeigte zu Klavier eine georgische Lesginka. Das erinnert mich rückblickend an Billy Elliot. Unter mehr als 1000 Bewerbern wurde ich aufgenommen. So fand ich mich plötzlich in der Bolschoi-Akademie wieder, ohne jede Ahnung, was auf mich zukam, besaß noch nicht einmal Schläppchen. Aber es hat mir gefallen, ich folgte den anderen und gehörte bald zu den Besten in der Klasse. In der Schule waren auch die Enkelin von Gorbatschow, Kinder von Generälen und Parteigenosssen – ich gehörte zu den wenigen aus einer einfachen Familie. Meine Mutter war alleinerziehend, wir waren nicht wohlhabend. Und als die Klasse zu voll wurde, hat man mich entlassen – angeblich wegen schlechten Verhaltens.

Mikhail Kaniskin © Enrico Nawrath

 

Sieben Jahre später gastierte diese Schule in Stuttgart, auch meine Mutter kam, um meine Vorstellung zu sehen – ich tanzte den Romeo. Die Schulleiterin aus Moskau bedauerte danach vor der Compagnie ihren Fehler – eine große Genugtuung.

 Wie ging es danach weiter?

Nach dem Rauswurf trainierte ich in einer kleinen Schule, beim selben Lehrer wie in der Bolschoi-Akademie, gewann beim Prix de Lausanne ein Stipendium, wurde nach Marseille zu Roland Petit und nach Stuttgart eingeladen. Die Schuldirektorin aus Marseille kam sogar zu uns nach Hause. Es war damals, um 1990, eine schwere Zeit für Russland. Mit Herzweh ließ mich meine Mutter gehen, weil ich sonst zum Militär gemusst hätte, und das hieß für mich: Tschetschenien-Krieg. Die Einberufung war schon vorbereitet.

Ich wählte Stuttgart, der Moskauer Produzent Nikolai Grishko bezahlte meine Reise und unterstützte mich auch danach sehr. So fuhr ich 64 Stunden per Bus über drei Grenzen, wurde in Stuttgart von Alex Ursuliak abgeholt, damals Leiter der John Cranko Schule. Das war mein Anfang „im Westen“!

Mit Elisa in „Giselle“ (Dance Open Festival) © Gene Schiavone
Gala Elisa and Friends Mexico © Carlos Quezada

Bolschoi-Akademie klingt nach Härte und gnadenloser Auslese.

Das war es auch, superhart, eine wahre Überlebensschule. Zum Glück hatte ich liebevolle Lehrer. Wir mussten ein enormes Pensum auch an Theorie bewältigen, von Musik bis Geschichte, auf beinah universitärem Niveau, die Cranko-Schule war dagegen ein Leichtes. Anderthalb Stunden brauchte ich täglich hin und zurück, mit zwei Bussen und der Metro, meine Mutter brachte und holte mich. Der Unterricht dauerte ja von 8 bis 18:30 Uhr.

Mikhail Kaniskin und Elisa Carrillo Cabrera in „Caravaggio“ © Carlos Quezada

 

Magazin  abonnieren oder Ausgabe bestellen und weiter lesen