Kritiken

Memoiren von Vladimir Klos

Kaum zu glauben. 1991 kann Vladimir Klos auf einmal seinen rechten Arm nicht mehr heben; er fühlt sich wie ein Fremdkörper an. Ein zweifacher Bandscheibenvorfall im Halswirbelbereich, so die unheilvolle Diagnose.  Klos muss sofort operiert werden. Monatelang absolviert er ein Therapieprogramm. Nichts rührt sich. Eine Rückkehr als Bühnentänzer scheint in weite Ferne gerückt. «Ich war am Ende», so der langjährige Starsolist des Stuttgarter Balletts, «und trug mich mit Selbstmordgedanken.» Doch der Glaube, zu dem er während seines Klinikaufenthalt irgendwann findet, hilft ihm weiter. Irgendwann spürt Klos, «wie der Muskel Infraspinatus ein klein wenig reagierte». Ermutigt, setzt er sein Aufbautraining fort – und feiert im Februar 1993 nach fast zwei Jahren als Mitch in John Neumeiers «Endstation Sehnsucht» ein triumphales Comeback. 46 ist er damals alt und, wie sich zeigt, keineswegs am Ende seiner Karriere.

«Danse Vertige» nennt sich das Kapitel, das gleich in mehrfacher Weise den Titel seiner Erinnerungen rechtfertigt. «Ups and Downs» hat es immer wieder gegeben, und so wie sich sein «Leben» in dem zusammen mit Silke Meier-Brösicke abwechslungsreich gestalteten Buch darstellt, tatsächlich «ein einziger Tanz». Eingeleitet wird es von einem Prélude, eröffnet von einer «Ouverture» und abgeschlossen mit einem «Grand Pas de deux», der seine Liebe zu Birgit Keil zum Thema hat, und einem unvermeidlichen «Finale», das sich allerdings auf ein weniger erfreuliches «Renversé» gleich am Anfang bezieht.

Reich bebildert, lassen seine Memoiren immer wieder tief blicken. Viel erfährt man über sein durchaus bürgerliches Elternhaus in Prag, über ein Erstengagement beim Studio Ballett Prag, die Flucht in den Westen, das Zwischenspiel als Filmschauspieler, sein «Vortanzen für John Cranko» und eine Tour en l’air, bei der er schier den Kopf verliert. Vladimir Klos weiß vergnüglich zu erzählen. Selbstironie ist ihm nicht fremd, und was er über seine Rollen sagt, ist durchweg lesenwert – und von denen gibt es ja einige. Er selbst widmet seinem Petrucchio ein ganzes Kapitel und zählt Onegin, Romeo, Don José, Herzog Albrecht und beide Partien in Neumeiers «Kameliendame» zu seinen Lieblingsrollen. Unvergessen ist für viele Zuschauer sein Testosteron gesteuerter Tänzerauftritt im «Sonntag» von Hans van Manen.

Doch der liegt eine Weile zurück. 1996 verabschiedet sich Klos mit «Edward II.» von der Bühne – um auf andere Weise vor und hinter den Kulissen in Erscheinung zu treten: als Kostümbildner, als Professor an der Akademie des Tanzes Mannheim und als Stellvertreter Direktor am Staatsballett Karlsruhe. Acht Kapitel beschäftigen sich mit dem Leben «danach», das nicht minder erfolgreich ist als das davor.

Es einmal aus einer anderen Perspektive kennenzulernen, lohnt sich nicht nur für jene, die sich als Zuschauer an Vladimir Klos erinnern.

Hartmut  Regitz 


Vladimir Klos (mit Silke Meier-Brösicke: «Ups and Downs. Mein Leben, ein einziger Tanz». www.henschel-verlag.de