Kritiken

Kultur muss als Grundrecht ins Grundgesetz!

Eine Petition fordert mehr Schutz für Kunst und Künstler

 

Der Schutz von Kunst und Kultur muss als Grundrecht im Grundgesetz verankert werden! Mit dieser Kernforderung haben neun Initiatoren Ende letzten Jahres eine bundesweite Organisation gegründet, einen offenen Brief an die Bundesregierung gerichtet und eine Petition gestartet. Mehr als 20.000 Unterschriften unter anderem von namhaften Kunstschaffenden aller Sparten, Beschäftigungsverhältnisse und Arbeitsformen sind bislang gesammelt worden, und ihre Zahl dürfte trotz erschwerter Kommunikation unter Pandemiebedingungen stetig wachsen. Zwar garantiert Artikel 5 Absatz 3 des Grundgesetzes die Freiheit der Kunst als Grundrecht, die Förderung von Kunst obliegt jedoch in freiwilliger Entscheidung den Ländern und Kommunen, was für Kunst und Künstler Abhängigkeit von den jeweiligen Lokalpolitikern und ihren Interessenslagen bedeutet.

Die Produktion von Kunst und ihre Rezeption durch Bürger aller Altersgruppen und sozialen Schichtungen muss, so die Initiatoren, grundrechtlich verbrieft sein: uneingeschränkte Teilhabe als Grund- und Menschenrecht, wie es immerhin die auch von der Bundesrepublik unterzeichnete UN-Charta festschreibt. Im antiken Athen, der Mutter unserer Demokratie, galt der Theaterbesuch für alle freien Bürger als Pflichtprogramm, weil auf der Bühne Themen von allgemeinem Belang verhandelt wurden. Wer den notwendigen Obolus nicht zahlen konnte, bekam ihn von der Stadtregierung, was freien Eintritt meinte. Darauf zielt der Forderungskatalog von Künstlern gut 2500 Jahre später nicht ab, klagt indes langfristige und stabile Sicherungsverhältnisse für Kunst- und Kulturschaffende sowie ein differenziertes gesetzliches Regelwerk ein, das sie vor unverschuldeten Verdienstausfällen schützt. All das würde sie vor der willkürlichen Handhabung innerhalb der einzelnen Bundesländer bewahren und stößt deshalb auf breite Zustimmung, in den Medien und sogar in der Politik.

Eine der Initiatorinnen ist die Berliner Choreografin, Pädagogin und Theaterleiterin Kathrin Schülein, die beschreibt, wie die Initiative zustandekam. Nach der coronabedingten Schließung ihrer Spielstätte in Adlershof mietete sie per Kredit und mit Hilfe von Freunden und Sponsoren ein viermastiges Zirkuszelt als vor Ansteckung gefeiten, zugleich mehr Zuschauer fassenden Spielort – der dann auch geschlossen werden musste. Bei gemeinsamen Treffen der Unterstützer wurde die Idee einer bundesweiten Kampagne pro Kunst und Künstler geboren, was Freie, Festangestellte und in Fördervereinen Agierende meint, also querbeet alle im Kulturbereich Tätigen anspricht. Entsprechend groß war und ist die Resonanz.

Wie es besser laufen könnte, dazu hat Kathrin Schülein eine klare Meinung. England und Frankreich, sagt sie, gehen auch finanziell besser mit Kunst und Künstlern um. In England etwa unterstütze der Staat bei nachgewiesener Leistung monatlich mit 1000 Euro jeden an der Produktion Beteiligten, übernehme die Miete und zahle dem fördernden Theater ein Projektgeld. Selbst die vorangehende Kreativphase werde materiell abgefedert, besonders bei Regisseuren. Finanziert werde das bis zur Premiere, so Schülein, aus Lottogeldern, bis zu 50 Vorstellungen seien dann keine Seltenheit. Hierzulande entscheiden viele kleine Jurys über Zuwendungen, müsse die gesamte Produktion selbst vorfinanziert werden, falls denn überhaupt eine Unterstützung genehmigt wird. Ihre Anträge auf Landes- und Bundesebene, bedauert Kathrin Schülein, sind bisher sämtlich abgelehnt worden.

Und sie hat noch mehr Vorschläge parat. So sollten auch in freien Theatern die Sitze aus der öffentlichen Hand teilfinanziert werden, wie das in staatlichen Theatern seit jeher praktiziert wird. Subventionen müssten sich an der Größe des Hauses orientieren. Dann könnten, fügt sie an, die Preise gesenkt werden, was weniger Zahlungskräftigen den Zugang ermöglichen würde. In Deutschland, sagt sie auch aus eigener Erfahrung, werde Kultur zum Prestigeobjekt und damit elitär, grenze viele Menschen aus. In der DDR, dem Land ihrer Vergangenheit, haben Kunst und Kultur einen hohen Stellenwert genossen, sind in Artikel 18 der Verfassung, Ausgabe von 1960, als gesicherte kulturelle Ansprüche fixiert gewesen.

Straßenaktionen im Dienste der Petition sind derzeit nicht erlaubt, weshalb regelmäßig um Unterzeichnung werbende elektronisch Mails verschickt werden: an Theater, Stiftungen, Verlage, Bibliotheken, Schulen und Hochschulen, kurz all jene, die vom Eintrag ins Grundgesetz profitieren würden. Kunst und Kultur müssen, ist Kathrin Schülein überzeugt, verpflichtend und mithin einklagbar in Staatshand, dürfen nicht nur als allgemeines Staatsziel geführt werden.

Außer CDU und AfD gehen die anderen Parteien mit dieser Forderung konform, hoffentlich nicht nur als ein wahltaktisches Manöver. Kathrin Schülein bespielt gegenwärtig einen Teil des ehemaligen Theaters, aus dem das DDR-Fernsehen seine Aufführungen gesendet hat und aus dem später die Aktuelle Kamera, die etwas dröge Nachrichtensendung der anderen deutschen Republik, ausgestrahlt wurde. Ihr Theater etabliere sich, erzählt sie freudig, von den elf letzten Vorstellungen im März vor der ersten Schließung seien acht ausverkauft gewesen. Im aufstrebenden Forschungsstandort Adlershof ist ein Theater zwingend nötig: für die dort Beschäftigten ebenso wie für ein älteres Publikum, das den Weg in Berlins Zentrum nicht mehr bewältigt, und für Jugendliche bei ihrem Erstkontakt mit Tanzproduktionen. Unter www.kulturinsgrundgesetz.de kann sich jeder informieren – und natürlich die Petition unterzeichnen.

Volkmar DRAEGER

 

 

 

 

 

 

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