Stadttheater-Tänzer Johannes Blattner erzählt von seinem Alltag und seinem bevorstehenden Weggang aus Pforzheim
Es kommt nicht so häufig vor, dass man ein langes Interview mit einem Tänzer an einem Stadttheater führt. Johannes Blattner ist einer von ihnen. Seit vier Jahren tanzt er am Theater Pforzheim, einem Stadttheater zwischen den Balletthochburgen Stuttgart und Karlsruhe in Baden-Württemberg, und dort tanzt er, wie seine Kolleg/innen, praktisch alles – sei es Falco im Erfolgsmusical„Falco – the spirit never dies“, Zeus in „Metamorphosen“, Orpheus in „Ovid – Verwandlungen“ oder als Gruppentänzer in der Rockoper „Everyman (Jedermann)“. Jetzt soll an der Enz Schluss sein, entschied der charismatische Künstler aus Guido Markowitz 12-köpfiger Truppe. Grund genug, sich mit dem smarten 31-jährigen zu unterhalten.
Herr Blattner, was ist das Schönste an Ihrem Beruf?
Das Schönste als Tänzer ist, dass man über diese künstlerische Arbeit Menschen erreichen kann. Man kann sie berühren und zum Nachdenken oder Mitempfinden bringen. Man kann Dinge sichtbar machen. Ich war nie ein Tänzer, dem es nur um Technik ging. Es geht mir mehr um Beziehungen, Geschichten und Emotionen und um die Frage, wie ich das als Künstler transportiere.
Und was ist das Härteste?
Es ist schwierig, Familie, Beziehungen und Beruf unter einen Hut zu bringen. Als Künstler arbeitet man meistens dann, wenn andere in anderen Berufen frei haben, und das heißt konkret: Man verpasst Familienfeste. Außerdem schlägt man sich mindestens einmal im Leben mit einer Fernbeziehung herum. Es entgeht einem privat also manches – dennoch arbeitet man als Tänzer, weil man das möchte, nicht weil man muss. Tanzen ist eine Leidenschaft.
Wieso verlassen Sie dann im besten Alter ihre Pforzheimer Wirkungsstätte, wo Ballettdirektor Guido Markowitz Sie bestimmt noch gerne behalten hätte? Gibt es einen konkreten Grund?
Nein, (lacht), das hat sich langsam entwickelt. Ich bin grundsätzlich ein Mensch, der viel in sich hinein horcht und reflektiert, und ich habe seit einigen Monaten gemerkt, dass sich für mich die Art der Arbeit nach vier Jahren nun verändern muss. Ich habe die Arbeit mit Guido Markowitz sehr genossen und in der Tiefe verstanden.
Welche Veränderung streben Sie an?
Ich habe große Lust, mit reiferen Kolleginnen und Kollegen zu arbeiten und von ihnen zu lernen. Unsere Ballettcompagnie ist ein sehr junges Team, und ich merke dass ich einer der ältesten bin. Das ist auch in Ordnung, nur möchte ich wieder stärker derjenige sein, der lernt, und nicht derjenige, der weiter gibt. Und damit Raum für Neues entsteht, müssen sich Künstler einfach aus der Komfortzone werfen, denke ich. Dahin geht gerade der Weg für mich.
Wird das Theater Pforzheim für Sie ein guter Ort gewesen sein?
Ich bin angekommen in Pforzheim. Ich genieße es sehr hier zu arbeiten und fühle mich gesehen und anerkannt. Außerdem blicke ich auf vier schöne und erfüllende Jahre zurück. Mir wurden viele Chancen gegeben und ich habe meine Vielseitigkeit als meine Stärke wertschätzen gelernt. Ich bin da sehr dankbar. Ich konnte viele verschiedene Sachen ausprobieren, und ich wurde auch immer durchgetragen. Das Publikum hat mich sogar als Spieler im Schauspiel akzeptiert. Das war sehr schön. Jetzt möchte ich mich neu erfinden.
Hat die Rolle des Falco eine besondere Bedeutung für Sie? Am Wochenende haben Sie sie zum letzten Mal getanzt.
Falco ist eine besondere Rolle für mich, ja. Er war in meinem Leben die erste Rolle, die sehr viele Dinge vereint hat, die zu mir gehören. Der schauspielerische Aspekt, der tänzerische Aspekt, dann sogar der Jazzdance wo meine Wurzeln liegen. Falco ist ein Charakter, den ich sehr spannend finde und seine Geschichte ist sehr berührend. Falco spricht viele Facetten meines inneren Künstlers an.
Gibt es noch andere Lieblingsrollen?
Ich habe fast jedes Stück zu lieben gelernt. Momentan liebe ich Zeus in „Metamorphosen“. Es ist wunderschön mit meiner Kollegin Eleonora Pennacchini zu tanzen. Wir haben über die Jahre eine intensive Freundschaft und Tanzpartnerschaft aufgebaut. Ich mochte aber auch Dick McCain in der Musicalszene von „Street Scene“ sehr. Das war pure Lebensfreude.
Wie war denn die Zusammenarbeit mit ihrem Chef, Guido Markowitz, der Ihnen unlängst „Zeus“ auf den Leib schrieb?
An ihm fasziniert mich, dass er mit viel Liebe an die Arbeit geht. Er bringt einem viel Wertschätzung entgegen und gibt viel Freiraum. Dadurch lernt man, Verantwortung zu tragen. Er hat uns alle als Individuen gecastet und lässt uns dann auch so wie wir sind. Darin war und ist er konsequent. Und ich habe gesehen, welchen Erfolg man mit dieser sanften Art zu führen haben kann, welche Stärke das Ensemble bekommen hat, welche besondere Energie wir haben und wie gut das bei den Zuschauern ankommt. Man muss nicht den Tyrannen spielen und die Leute durch die Gegend peitschen. Sollte ich ich einmal choreografisch arbeiten, werde ich das bestimmt einfließen lassen.
Als Tänzer in einem kleinen Ensemble an einem Stadttheater arbeitet man anders als in großen Compagnien. Worin liegen hier die Herausforderungen?
Um einen glücklichen Alltag zu haben, muss man offen, produktiv und flexibel sein. Die Arbeit ist viel und die Zeit knapp. Man muss sich als Tänzer völlig verschiedene Produktionen zu eigen machen, um sie ausfüllen zu können – von der Oper über das Musical hin zum Ballettabend oder einem zeitgenössischen Abend im Podium.
Kommt man da nicht in Konflikte?
Ich denke es ist wichtig Herausforderungen zu umarmen, daran wächst man. Zudem sind wir ein Ensembletheater und das heißt, dass man auch mal im Ensemble stehen muss. Es kann nicht jeder die Hauptrolle übernehmen. Als Tänzer sind wir trotzdem wichtig, auch wenn wir zum Beispiel in einer Oper oder einem Musical nicht im Vordergrund stehen. Ohne uns wäre der energetische Ablauf anders. Außerdem machen wir auf unsere Arbeit als Ballett aufmerksam, wenn wir uns zeigen. Die Menschen sehen uns und einige kommen dann auch in unsere Produktionen.
Stellen Sie sich vor, Sie haben Sie haben einen Wunsch für Ballettcompagnien an Stadttheatern frei. Wie lautet dieser?
Physiotherapeutische Begleitung! Das fände ich am wichtigsten und am notwendigsten. Jemanden zu haben, der sich auskennt und der auch mit uns Tänzern präventiv arbeitet. Bislang muss man sich diese besondere physische Betreuung, die Tänzer brauchen, über Umwege selbst erarbeiten und dann ist es auch noch meistens zu spät, wenn man sie dringend braucht.
Interview von Alexandra Karabelas