Es hat 25 Jahre gedauert, ehe das Complexions Contemporary Ballet aus New York auch den Weg nach Berlin fand. Zwei renommierte Tänzer haben die Company 1994 gegründet: Dwight Rhoden und Desmond Richardson, der eine Solist im Alvin Ailey American Dance Theater, der andere erster farbiger Star im American Ballet Theater. In Alvin Aileys Truppe haben sie sich getroffen und gleiche Ambitionen entdeckt: Stilgrenzen zu durchbrechen und den Tanz der Zukunft zu kreieren. Eingeflossen in die Stücke sind ebenso Erfahrungen, die Richardson bei William Forsythe, dem Tanzrevolutionär, in Frankfurt machen konnte. So ist eine Company von unverwechselbarer Ausstrahlung entstanden, die Rhoden mit seinen rund 80 Choreografien geprägt hat. Sie zählt heute 16 handverlesene internationale Tänzer, die noch bis Sonntag in der Komischen Oper gastieren.


Mitgebracht haben sie ein im Vorjahr uraufgeführtes Programm, wie es gegensätzlicher kaum sein könnte. Der Titel „STAR DUST – From Bach To David Bowie“ behauptet, was die Szene dann auch wirklich einlöst. Zwei Dreiviertelstünder prallen aufeinander, gespeist aus extrem verschiedenen Musikwelten, die Rhodens choreografische Handschrift erstaunlich nahtlos zusammenführt. „Bach 25“ feiert nicht nur den Geburtstag der Company, sondern auch zwei Vertreter der Familie Bach, Vater Johann Sebastian und Sohn Carl Philipp Emanuel. Auszüge aus sieben ihrer Werke, vom Cello- und Klavierkonzert bis zum Magnificat, reihen sich zu einem Bilderfries modern versetzter klassischer Bewegungssprache. Himmelhoch streben die Armformen im Wettstreit mit dem lebhaften Allegro oder dem versonnenen Adagio der Musik. Wunderbares Licht in milchiger Atmosphäre als einziges Bühnenbild lässt die athletischen Körper der Tänzer so recht zur Geltung kommen. Knappst bemessen sind ihre silbrig oder golden schimmernden, mehr ent- als verhüllenden Kostüme. Rhodens choreografischer Kommentar zum Bach-Kosmos fällt ungemein musikalisch aus, enorm dicht gepackt, technisch flirrend, vibrierend dynamisch, eher sportiv als introvertiert.

Auch die zu „STAR DUST“ verknüpften elf Songs von David Bowie sind durch rasche Wechsel in der Gruppe geprägt. Hier jedoch steht jeweils ein Glitzertyp im Glam-Rock-Outfit als charismatischer Playback-„Sänger“ im Vordergrund. Mit welch explosivem Elan sich diese Solisten präsentieren, zeigt nach der Gruppendisziplin in „Bach 25“ und ihrer Qualität die eigenwillige Individualität der Complexions-Tänzer. Wieder umhüllt sie Licht, in Strahlenbündeln oder als Kegel. Ein Vorhang aus Goldfäden schafft den Show-Hintergrund, vor dem sich die exaltierten Bowie-Reminiszenzen vollziehen, von „Life On Mars“, „Space Oddity“, „1984“, „Heroes“, „Modern Love“, „Young Americans“ bis zum fröhlichen „Let‘s Dance“-Finale. Skurriles, Nachdenkliches in einer künstlerisch grenzsprengenden Hommage an unnormiertes Leben. Eben Complexions. Großartig!
Volkmar Draeger