Mit „Grandes Dames“ macht Gauthier Dance am Theaterhaus Stuttgart darauf aufmerksam, dass Frauen als Choreografinnen noch immer weniger Chancen haben als Männer.
Die Tanzwelt werde noch immer von Männern dominiert, so Eric Gauthier im Programmheft der neuesten Produktion, „Grandes Dames“. Er sagt auch, es sei an der Zeit, ihnen einen Abend zu widmen. Und so gibt es vier Uraufführungen, zwei von Frauen, und zwei von Männern, für Frauen, denen sie viel zu verdanken haben.
Und wie oft möchte Eric Gauthier auch wieder in Stuttgart neben bekannten Choreografinnen und Choreografen eine bislang sicher nur wenigen bekannte Choreografin vorstellen, Virginie Brunelle, aus dem kanadischen Québec, die erstmals in Europa arbeitet. Ob die junge Choreografin schon zu den großen Damen ihres Faches zählt lässt sich noch nicht sagen, dass man auf ihren weitere Entwicklung gespannt sein sollte, dass sie hoffentlich nicht zum letzten Mal für Gauthier Dance gearbeitet hat, möchte man gerne hoffen.
„Beating“ heißt ihre Kreation für acht Tänzerinnen und Tänzer, die musikalisch zunächst sehr poetisch zu milden Klavierklängen von Franz Liszt beginnt. Lassen Gemeinsamkeiten, Zuneigung, Partnerschaften, Liebesbeziehungen tatsächlich die Herzen im gleichen Takt schlagen, unabhängig von der erotischen Orientierung, in der Zweisamkeit oder in der Gruppe, oder gar in sehnsuchtsvoller Einsamkeit?
Solchen Fragen geht die Choreografin mit ihrer feinsinnigen und auch mitunter humorvollen, heiter grundierten, tänzerischen Suche nach den Glücksmomenten des Gleichklanges nach. Dass dabei nicht immer Wunsch und Wirklichkeit einen Einklang bilden lässt sie nicht aus. Dass es in einer Reihe immer Erste und Letzte geben muss auch nicht. Auch nicht, dass die Weitergabe rhythmischer Takte der Zuneigung oder des Suchens auch Veränderungen und Verunsicherungen mit sich bringt macht die bewegten Bilder ihrer tänzerischen Suche interessant und so wie die Musik von Henryk Górecki oder Max Richter dann auch ganz andere Klänge einbringen gibt sie auch dem Tanz sich wandelnde Zwischentöne.
Mutig ist es, eine so streitbare Künstlerin wie Helena Waldmann für diesen Abend zu verpflichten. Und so geschieht es auch, in der besuchten Aufführung, am 21. Juni, dass genau in dem Moment, in dem sich Momente der Stille ausbreiten in der ansonsten von den kräftigen Beats des Komponisten Jayrope unterlegten Arbeit „We Love Horses“ von Helena Waldmann, eine entrüstete Zuschauerin Gehör verschafft:
Das sei doch gar nicht schön, das sei doch so hässlich, so ruft sie gut vernehmbar in den Saal. Recht hat diese empörte Dame, denn die Berliner Choreografin und Tanzregisseurin hat sich nie um den „schönen“ Tanz gekümmert. Sie bringt in immer neuen Varianten genau das auf die Tanzbühne, was ganz und gar nicht schön ist in der Wirklichkeit.
In „We Love Horses“ lässt sie die Peitsche knallen. Die Tänzerin Anneleen Dedroog als Domina auf hohen Stelzen wie ein lüsterner Satyr macht drei ihrer Kolleginnen und zwei Kollegen zu regelrecht kadavergehorsamen Zirkustieren in der Manege mit wippenden Federn auf den Köpfen und einem breiten Pferdehintern dieser in die Unnatürlichkeit gepeitschten Wesen im Kostümdesign von Judith Adam.
Die Dressur des Alltags, der sich Menschen willig hingeben, weil ja angeblich Ordnung sein müsse, wo kämen wir den hin, wenn sich jeder und jede nach ihrer oder seiner Facon bewegte. Nein, wir brauchen sie, die Peitsche des Gesetzes, der Ordnungen, der Unterdrückung der Persönlichkeit, der wir uns wie dressierte Pferde untergeben.
Nein, schön ist das nicht anzusehen wenn die dressierten Wesen genau auf den Knall der Peitsche ihre Hintern schwingen, wenn sie sich in genormten, sexuellen Praktiken ganz ohne Poesie und Zärtlichkeit einer ganz und gar nicht tierischen Lust hingeben und sich mit den Häppchen lähmender Zuckerbrot-Ideologien abspeisen lassen. Ja, das ist hässlich. Das tut auch weh, und davon angewidert zu sein, darauf entsetzt zu reagieren, das wäre vielleicht ein erster Schritt in die Freiheit außerhalb der Manegen mit ihren Begrenzungen und Ausgrenzungen, mit denen wir meinen alles, was fremd ist, was uns wild erscheint, bannen zu können. Helena Waldmanns Beitrag dürfte sicher der härteste sein in dem vierteiligen Abend „Grandes Dames“, mit dem Gauthier Dance am Theaterhaus in Stuttgart seine nunmehr elfte Saison beendet.
Es folgen in thematischer Korrespondenz zum Anliegen des Abends Uraufführungen von Marco Goecke und in gemeinsamer Arbeit, von Eric Gauthier zusammen mit dem griechischen Choreografen Andonis Fonidakis. Jeweils eine sehr persönliche Hommage, an wahrhaft große Damen des Tanzes, Pina Bausch und Louise Lecavalier.
Für Marco Goecke, geboren in Wuppertal, ist es Pina Bausch, der er die Grundlage für alle Leidenschaft, die er im Tanz entwickelt hat, verdankt. Im Programmheft erinnert er sich daran, wie er als Heranwachsender, der sich nach einem anderen Leben sehnte, empfand, dass sie es war, die alles auszudrücken schien, was er empfand, wonach er suchte, wovon er träumte. So heißt sein Solo für Rosario Guerra zu Songs von Anthony and the Johnsons auch „Infant Spirit“.
Und wie es dieser Tänzer vermag, die erinnernden und inspirierenden Träume des Choreografen, zunächst in tastender Knabenhaftigkeit, dann auch im korrespondierenden Widerstand zu den eigeneren, Körperlichen Möglichkeiten und dem nicht versiegenden Eifer, doch immer noch eine weitere Grenze scheinbarer Gegebenheiten körperlicher Ausdruckskraft zu durchbrechen, das ist grandios. Hier wird nichts kopiert, nichts nachgemacht, aber vieles nachempfunden, nicht ganz ohne Wehmut, denn die Melancholie der Klänge jener Songs ist nicht überhörbar. Und wenn sich Rosario Guerra am Ende dieses Solos eine Nelke ans Revers steckt, dann kann man es wieder sehen, in der Erinnerung, dieses wogende Feld, in Pina Bauschs Choreografie „Nelken“.
Auch Eric Gauthier nimmt eine beflügelnde Erinnerung an die Jugend in Toronto zum Anlass für seine Hommage an eine Ikone des Tanzes. Noch heute, so sagt er, beflügle ihn die explosive Energie der ehemaligen Fronttänzerin der kanadischen Kult-Company La La La Human Steps, Louise Lecavalier, die er als Ballettschüler in seiner Kanadischen Heimat kennenlernte.
„Electric Life“, eine Kreation in zwei Teilen, ganz klar eine Hommage an Louise Lecavalier, auch mit der von ihr so geliebten Musik von David Bowie. Ja, Gauthier lässt nun seine Solistin zunächst in einem dem Titel gemäßen Kreis von Leuchtstoffröhren, die auch etwas Gespenstisches andeuten mögen, ihre tanzakrobatischen Kraftakte vollführen. Mag sein, seine Art, Erinnerungen in tänzerische Gegenwart zu überführen, bewegen sich nahe am Zitat, verfallen aber dann doch nicht der Gefahr einer puren Rekonstruktion. Dafür stehen auch die Wahnsinsenergie der Tänzerin Garazi Perez Oloriz und des Tänzers Maurus Guthier mit den sich drehenden Spungvarianten, athletischen Hebefiguren, kämpferischem Gegeneinander und knappen Momenten des Miteinanders, was alles wirkt, als sei auch dies eine Motivation des Tanzes, sich gegenseitig an- und aufzustacheln.
Der zweite Teil des Stückes, jetzt von Andonis Foniadakis, der erneut mit Gauthier Dance zusammenarbeitet, übernimmt den Furor des Duettes im ersten Teil und überträgt ihn auf die Gruppe. Dabei wird auch der Lichtkreis aufgelöst, die Elektrik des Tanzes und die des Lichtes ergeben neue Sichtweisen von raumgreifender Energien. Das hat schon Momente des Wahnsinns im Spiel mit Licht und Dunkelheit, mit aufpeitschenden Klanggrundierungen, mit einer Art der Grenzüberschreitung dessen, was explosiver Tanz möglich macht. Was natürlich bestens funktioniert bei so explosiven Tänzerinnen und Tänzer dieser Kompanie.
Boris Gruhl