In Zeiten von Covid-19 wankt die Zukunft für Tänzerinnen und Tänzer. Es ist nicht klar, wie sie langfristig weitertrainieren können. Außerdem sind Auftrittsmöglichkeiten und Engagements für Tänzerinnen und Tänzer an Theatern derzeit noch unkalkulierbar. Die Leiterin des Gymnasiums Essen-Werden, Felicitas Schönau, tut alles, damit ihre Tanzschülerinnen und Tanzschüler eine gesicherte Zukunft haben und plädiert für Talentpools.
Frau Schönau, Sie leiten das Gymnasium Essen-Werden mit dem Ausbildungsgang Tanz. Gerade haben Ihre Abiturientinnen und Abiturienten ihre Prüfungen abgelegt. Wie ist das im Tanzbereich unter den aktuellen Covid-19-Sicherheitsmaßnahmen gelaufen?
Felicitas Schönau: Das hat an unserer Schule nach der Wiedereröffnung der Schulen zum Glück sehr gut funktioniert. Wir haben sehr große Tanzräume in Essen-Werden und konnten gut lüften und haben alle Stangen und benutzten Gegenstände sofort gereinigt. Und obwohl eine gewisse Trainingszeit ausfiel, haben die Schülerinnen und Schüler das sehr diszipliniert unter Distanz hinbekommen.
Wie konnten sie sich vorbereiten?
Felicitas Schönau: Sowohl die Schüler als auch die Abiturienten haben ihre Wohnzimmer und sonstige Räume während des Lockdowns umgebaut und sich irgendwie zum Trainieren eine Stange gebastelt. Die Lehrer haben ihnen Videos geschickt und sie angeleitet. Um später wieder nahtlos anschließen zu können, sind sie gejoggt und haben Krafttraining gemacht. Das hat gut geklappt. Und die Abiturienten durften nach den Osterferien ja schon wieder in die Schule. Wir haben die drei Wochen, die vor den Osterferien ausgefallen waren, gut nachgeholt.
Und wie sah es mit Aufnahmeprüfungen für den Tanznachwuchs an Ihrer Schule aus?
Felicitas Schönau: Wir haben alle nach Ostern kommen lassen. Die Schüler mussten mit Masken kommen und die Prüfungen haben in zwei Räumen geprüft, damit wir genügend Platz hatten. Wir konnten acht Kinder neu aufnehmen. Das ist eine gute Zahl.
Das Gymnasium Essen-Werden hat auch einige Schüler aus dem Ausland. Inwiefern hat sich die Situation auf sie ausgewirkt?
Felicitas Schönau: Eine Schülerin aus der Schweiz musste, nachdem sie aus der Schweiz Ostern zurückgekehrt war, erst einmal zwei Wochen in Quarantäne. Im Internat hat sie dann auch trainiert, weil sie nicht an dem normalen Vorbereitungstraining teilnehmen durfte. Insgesamt gab es keinen, der gesagt hat, er käme nicht mehr zurück. Doch wir müssen uns daran gewöhnen, anders zu lehren und zu trainieren, solange es die Pandemie gibt. Das macht natürlich vieles für diese Ausbildung schwieriger, denn beispielsweise das herkömmliche Pas-de-deux-Training erfordert Körperkontakt. Wir wissen auch bisher noch nicht, wie wir den Lehrplan für unsere Tanzschüler nach dem Sommer genau umsetzen können und dürfen.
Inwiefern hat die Corona-Pandemie insbesondere die Tanzschülerinnen und -schüler psychologisch beeinträchtigt? Mussten Sie viel auffangen?
Felicitas Schönau: Das kann man so genau nicht sagen, was der oder die Einzelne da vielleicht miterlebt hat und wie die familiären Belastungen waren. Das war für alle eine Sondersituation. Für die Abiturienten war es vielleicht noch ein bisschen schlimmer, weil sie zunächst nicht wussten, ob ihre Prüfungen stattfinden würden. Und obwohl eine große, merkbare Anspannung herrschte, haben die Schüler das großartig gemeistert. Alle haben bestanden und auch trotz der Bedingungen gute Noten gemacht.
Auch Ihre Tanzschülerinnen und -schüler sollen die Möglichkeit haben, ihr Abitur zu machen. Eine gute Schulausbildung spielt für Sie eine große Rolle. Warum?
Felicitas Schönau: Der Beruf des Tänzers und der Tänzerin ist ein sehr schöner Beruf, der allerdings durch Verletzungen und weil Tänzer nicht bis zur Rente auf der Bühne stehen, nur verhältnismäßig kurz ausgeübt werden kann. Das gilt für alle anderen Sportarten natürlich genauso. Ein qualifizierter Schulabschluss und die Möglichkeit, danach etwas anderes machen zu können, beispielsweise mit dem Abitur in der Tasche ein Studium, halten wir für den richtigen Weg. Außerdem schaffen nicht alle eine Tanzkarriere. Wir unterstützen unsere Schülerinnen und Schüler deshalb bis zum Abitur so gut es geht. Es gibt auch Schüler, die erst sehr spät merken, dass sie doch keine Tanzkarriere machen möchten. Mit dem Abitur sind dann noch alle Wege für sie offen.
Die überwiegende Mehrheit der Tanzstudentinnen und Tanzstudenten an deutschen Ausbildungsinstituten kommt nicht aus Deutschland. Und auch an Ihrem Gymnasium gibt es Tanznachwuchs aus dem Ausland. Woran liegt das?
Felicitas Schönau: Dies hat sicher auch mit dem sozialen und gesellschaftlichen Stellenwert des Tanzes in Deutschland zu tun, der weder sozial gut abgesichert, noch gesellschaftlich stark anerkannt ist. Tanz ist eine Kunst und ein Hochleistungssport zugleich. In den skandinavischen Ländern wird dem Rechnung getragen, indem Tänzerinnen und Tänzer mit etwas über 40 in den Ruhestand gehen können. Viele entscheiden sich aus der abgesicherten Situation heraus, trotzdem einen neuen Beruf zu erlernen und auszuüben. Wichtig wäre es sowohl die soziale als auch die berufliche Situation der Tänzerinnen und Tänzer in Deutschland zu verbessern. Leider sind auch die strukturellen Möglichkeiten der beruflichen Vorausbildung in Deutschland noch immer weit von Notwendigkeiten der Realität eines Berufstänzers entfernt, es mangelt an vielem.
Was müsste in Deutschland in der Ausbildung passieren, damit sich die Situation verbessert?
Felicitas Schönau: Das Berufsbild des Tänzers zeichnet sich heute durch drei wesentliche Faktoren aus: Stilistische und technische Versiertheit in unterschiedlichen Stilen, stilistische Offenheit gegenüber „neuen Formensprachen“ und in Athletik und körperlicher Fitness. Um dem Rechnung tragen zu können, müsste es in der beruflichen Vorbereitung deutschlandweit Talentpools geben, in denen talentierte Jungen und Mädchen trainieren können und in denen Lehrerteams unterrichten, die die oben genannten Forderungen des Berufsbildes kontinuierlich ausbilden. Solche Synergien an talentierten Schülerinnen und Schülern sowie an Lehrerinnen und Lehrern würden in Kombination mit einer guten Schulbildung sehr viel zur Verbesserung der sozialen und gesellschaftlichen Situation des Tanzes und der Tänzerinnen und Tänzer in Deutschland beitragen. Das ist das, was wir in Essen-Werden versuchen.
Gibt es denn noch großen Bedarf seitens der Theater?
Felicitas Schönau: Wir müssen die Pandemie erst einmal abwarten, weil wir natürlich nicht genau wissen, wie es sich langfristig entwickeln wird. Hervorragende Tänzerinnen und Tänzer werden jedoch immer gesucht und gebraucht. Das gilt in zunehmendem Maße auch für Projekte und die „freie Szene“.
Das Interview mit Felicitas Schönau führte Viola Gräfenstein im Juni 2020.