EDITORIAL SEPTEMBER-OKTOBER 2007 Editorial Download
Dass Bühnentänzer großem Leistungsdruck ausgesetzt sind, dass sie immer wieder an ihre Grenzen gehen müssen, scheint unabdingbar zu sein. Bedenklich wird es allerdings, wenn der Tanz die gesamte Identität vereinnahmt, vor allem dann, wenn Erfolg ausbleibt und das Selbstbild leidet. Professionelle Hilfe von Seiten der Dozenten können Tanzstudenten in einem solchen Fall kaum erwarten. Innerhalb der Akademie gibt es zwar Hilfe für körperliche Verletzungen, die Seele bleibt dagegen sich selbst überlassen.
Für eine Therapie, die sich mit Essstörungen, Minderwertigkeitskomplexen, Depressionen oder Versagensängsten auseinandersetzt, haben angehende Tänzerinnen und Tänzer jedoch keine Zeit. So sehen sich Tanzstudenten vor eine Entweder-Oder-Entscheidung gestellt. Die Psyche, die gerade für den Ausdruck eines Tänzers wesentlich ist, bleibt außen vor.
Eleni Bousvaros hat nach psychologischen Beratungsangeboten für Tänzerinnen und Tänzer gesucht und ist dabei auf Pia Hübinger gestoßen. Die Psychologin berät Tanzstudenten an der Hochschule für Musik und Tanz in Köln bei Problemen – neben ihrer eigentlichen Tätigkeit als Dozentin für Psychologie. Für die offizielle Etablierung einer solchen Beratung fehlen die finanziellen Mittel. Pia Hübinger spricht aus, was jeder weiß, aber keiner gerne hören mag: Essstörungen sind ein
systemimmanentes Problem. Wer sie bekämpfen möchte, muss die Ästhetik des Tanzes und die hohen körperlichen Anforderungen an diese Kunstform ändern. Doch wer möchte das schon?
Welcher junge Tänzer träumt nicht davon, bei einem Casting unter den Auserwählten zu sein; zum Superstar einer Show zu werden oder mit einem berühmten Sänger auf der Bühne zu stehen. Doch in der Regel ist die Konkurrenz so groß, dass die Wahrscheinlichkeit, den Traum zu verwirklichen, nicht allzu hoch ist. Wer weiß, was ihn erwartet, wer trotz Niederlagen das Selbstbewusstsein nicht verliert und vorbereitet in ein solches Auswahlverfahren geht, kommt als talentierter Tänzer irgendwann dennoch zum Ziel. Kimberly Anne Cole, Tänzerin, Choreografin und Tanzpädagogin aus Los Angeles, hat in jungen Jahren an zahlreichen Castings teilgenommen. Für dance for you gibt sie Einblick in Auswahlverfahren und verrät, worauf Bewerber achten sollten.
Kein Geld für neue Tanzproduktionen, keine Gage für Probenarbeit, die Qualität wird immer schlechter – das gibt es nicht nur in der freien Tanzszene Deutschlands, auch in New York City kämpfen Tänzer mit miserablen Arbeitsbedingungen. Dennoch arbeiten dort immer mehr Choreografen, sagt Patricia Weiss, Tänzerin, Choreografin und Tanzpädagogin aus New York. Wer vom Tanz leben möchte, sucht einen Sponsor. Doch auch der will erst einmal gefunden werden. Lesen Sie mehr darüber in unserem zweiten Teil zum Thema Tanzmanagement.
Nicolae Vieru ist nach Rumänien gereist und hat sich einen Einblick von der Staatsoper Bukarest verschafft. Was er dort sah, war ein erfreulich hohes Niveau unter den jungen Tänzern, die anscheinend kaum noch etwas nach Europa zieht. Wo gibt es schließlich sonst noch eine 84-köpfige Compagnie? Einziger Wehrmutstropfen: der starke klassische Schwerpunkt. Zeitgenössischer Tanz braucht wohl noch einige Zeit, um dort anzukommen.
In unserer Rubrik „People“ lernen Sie dieses Mal Aurélie Dupont, Étoile der Pariser Oper kennen. Marian Walter, Solist vom Staatsballett Berlin, erzählt, wie er sich vom unsicheren Ballettschüler zum souveränen Tänzer gemausert hat.
Bleibt noch die Vorschau auf die neue Spielzeit, die uns besonders nach München blicken lässt, wo Henning Paar am Gärtnerplatztheater debütiert. Stefan Sixt porträtiert den Choreografen, der nach Nordhausen, Kassel und Braunschweig dort jetzt seine vierte Stelle als Ballettdirektor antritt und stellt vor, was das Publikum ab Oktober erwarten kann. Wir sind gespannt!
dance for you magazine
erscheint wieder am 3. November