Tanzabend „Kunstraub“ im Theater am Domhof lotet aktuelle Befindlichkeiten aus
Im Theater am Domhof fand mit der Uraufführung von „Kunstraub“ der erste Tanzabend der Dance Company unter Corona-Bedingungen statt. „Kunstraub“ ist kein weinerliches Corona-Lamento, sondern eine anspruchsvoll facettenreiche, teilweise grotesk surreale Erkundung gegenwärtiger Befindlichkeiten.
Dem Aufbau des dreiteiligen Stücks von Tanzchef Mauro de Candia ist deutlich das Diktat der strikten Hygienebedingungen eingeschrieben. Weil die kleine Bühne des Theaters am Domhof nicht alle Tänzer der Company unter Beachtung der Abstandsregeln zulässt, sind sie zu jeweils fünf auf den ersten und den dritten Teil sowie zu sechs auf ein Video als zweitem Teil verteilt.
Im ersten Teil liegt von Beginn an Spannung in der Luft, eine allgemeine Verunsicherung und die Erwartung, dass etwas Bedrohliches passiert. Ein Kurator (Arthur Stashak) eröffnet in grotesk verdrehten, super langsamen Bewegungen wie schwebend eine Vernissage. Es ist wohl die vor ein großformatiges Schuhplattler-Gemälde tretende vermummte Frau (Ayaka Kamei), die zwischen allen distanziert voneinander im Raum Befindlichen die Vision eines Überfalls auftreten lässt. In Zeitlupe fällt der Mann, der bisher im Katalog gelesen hat (Neven del Canto), von seiner Bank, die Besucherin auf den roten High Heels (Marine Sanchez Egasse) sinkt nach hinten zu Boden. Der uniformierte Wachmann (Ohad Fabrizio Caspi) scheint niedergestreckt, während sich der Kurator unter sein Stehpult verkriecht. Stroboskop-Licht blitzt, und rotes Alarm-Licht beleuchtet das Verschwinden des Bildes nach oben. Der Raub ist Tatsache geworden und reißt alle jäh in die Wirklichkeit zurück. Die quälend eindrucksvollen Bewegungen unterstützt punktgenau die eigens für „Kunstraub“ von Misagh Azimi komponierte Klangcollage.
Das im Stil schwarz-weißer Stummfilme gedrehte Video Jan van Triestes nimmt dann den Gedanken vom Verlust der gewohnten Wirklichkeit auf. Es zeigt den mit einer schwarzen Woll-Sturmmaske vermummten Räuber auf der Flucht, dem ihrerseits die Schuhplattler aus dem Gemälde entfliehen. Vergeblich und nicht ohne große Längen versucht er sie wieder einzufangen.
Der Schlussteil wirft einen Blick auf den Verlust all dessen, was sich mit Schuhplattlern verbindet, auf Brauchtum, Freiheit und Natur. Den Bühnenhimmel beweiden kleine blaue Schafe, während darunter identisch in geblümte Seppelhosen, weiße Hemden und grüne Jägerhüte Gekleidete (Gabriella Lemma, Laura Martin Rey, Rosa Wijsman, Petr Buchenkov und Yi Yu) gedehnt langsam auf Melkschemeln turnen. Die Musik, durch die es manchmal blökt, in der Almglocken läuten oder Hildegard Knef wehmütig den Bal paré einer vergangenen Zeit beschwört, verweist die vereinzelten parallelen Bewegungen und wenigen Ensembletänze mit ihren Ländlern ins Reich verlorener Wunschbilder.
De Candias „Kunstraub“ ist erfreulich offen und regt dazu an, die vielen tänzerischen Eindrücke mit der aktuell eigenen Befindlichkeit zu verknüpfen. Bei spürbarer Zurückhaltung des Premierenpublikums dem Stück gegenüber begleitete anerkennender Schluss-Beifall das engagierte Ensemble.
Hanns Butterhof
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