„Choris Voces“ – ein Tanzabend mit Kurzstücken zu deutschsprachiger Vokalmusik von und mit den 12 Tänzerinnen und Tänzern der Tanzkompanie, geleitet von Dan Pelleg und Marko E. Weigert.
Zwölf Uraufführungen auf dem Gelände der Görlitzer Obermühle an der Neiße.
Seit dem Wasserschaden, am 2. November letzten Jahres, ist das Görlitzer Theater geschlossen. Wann auf den weltbedeutenden Brettern wieder getanzt wird ist unklar.
Aber das Theater geht weiter, der Tanz auch, für Görlitz nun auch wieder nicht so ganz untypisch, an verschiedenen Orten der Stadt: Im historischen Kaufhaus: Musiktheater, getanzt wurde auch in der ehemaligen Synagoge, jetzt auf dem Gelände der Obermühle.
Das aber hat mit dem Wasserschaden nichts zu tun. Der Tanz an diesem Ort, unter freiem Himmel, so wie am Abend der Premiere, im milden Zauber einer Sommernacht, sucht sich eben besondere Orte immer zum Abschluss der Saison. Das haben Dan Pelleg und Marko E. Weigert, die seit nunmehr12 Jahren die Tanzkompanie erfolgreich leiten und regen Publikumszuspruch gewinnen konnten, zu einer guten Tradition werden lassen.
Denn da haben sich zwei Künstler gefunden, die es vermögen, ganz unterschiedliche Formen und Traditionen des zeitgenössischen Tanzes miteinander zu verbinden. Dan Pelleg kommt aus Israel, von der Bathsheva-Dance-Company. Marko E. Weigert wurde in Dresden an der Palucca-Schule ausgebildet, zusätzlich in Leipzig. Beide begründeten in Berlin die Wee-Dance-Company.
Und so begann vor 12 Jahren an einem Städtischen Theater die tänzerische Verbindung der freien Szene mit traditionelleren Strukturen. Das kam bald an beim Publikum, vor allem beim jungen. Als dann der Tanz auch immer intensiver mit dem Musiktheater zusammen ging konnten nochmals ganz neue Gruppen des Publikums gewonnen werden konnten. Dies eben auch, nicht zuletzt, mit jenen Formaten wie denen des aktuellen Abends: kurze Stücke, größtenteils von den Tänzerinnen und Tänzern mit- und füreinander entwickelt und in choreografische Formen gebracht.
Fotos: CHORIS VOCES, Tanzabend mit Kurzstücken zu deutschsprachiger Vokalmusik von und mit den Tänzer:innen der Tanzcompagnie, Dan Pelleg und Marko E. Weigert. Uraufführung. Obermühle Görlitz. Goerlitz, 11.07.2023 Foto: Pawel Sosnowski
Die besondere Auswahl derMusik gibt das Motto vor: „Choris voces“ – „Tanzende Stimmen“ – zu Vokalmusik aus dem deutschsprachigen Raum, so bekannter Komponisten wie Franz Schubert, Felix Mendelssohn Bartholdy, Wolfgang Amadeus Mozart oder Robert Schumann, als auch vielleicht weniger Bekannter, wie Max Reger, Carl Friedrich Zelter oder Johann Abraham Peter Schulz. So erstaunlich wie erfreulich, wie es insgesamt gelungen ist diese „tanzenden Stimmen“ sichtbar zu machen, hörbar dazu. Denn so, wie bei den genannten Komponisten, insbesondere in der Lied-Kunst der Romantik, diese inneren Stimmen hörbar werden, so werden sie in den tänzerischen Szenen, eben zu tanzenden Stimmen. Dabei werden die Inhalte der Musik in keiner Weise illustriert. Zudem gibt es bei der Auswahl mitunter höchst ungewöhnlicher Bearbeitungen scheinbar so bekannter Stücke, bei denen man ganz gerne schon mal mitsingen möchte, erstaunliche Überraschungen.
Es geht dann hier im Tanz nämlich eher um so etwas wie innere Vielstimmigkeit, durchaus nicht immer harmonisch, schon mal ganz schön disharmonisch, oder auch mit tanzenden Klängen bitterer Ironie.
Gleich zu Beginn, alle 12 Tänzerinnen und Tänzer, barfüßig, gekleidet als kämen sie gerade von der Straße, aus dem Kaffee, aus dem Supermarkt…und dann, „Die Gedanken sind frei..“ – das macht sichtbaren Spaß, hier nun nicht nur gedanklich fei zu sein, sondern in der Gruppe, deren Kraft eben so groß ist, weil sie die Freiheit der Einzelnen braucht und schützt.
Das geht im Tanz, vor allem auch, wenn hier 12 so herrlich individuelle Tänzerinnen und Tänzer zusammen finden, immer aber, ohne sich aufzugeben. Sie muten sich viel zu, mir als Zuschauer auch, wenn es dabei schon mal zu dramaturgisch nicht so ganz schlüssigen Szenen kommt, wenn gebotene Kürze eben – ganz sprichwörtlich – die Würze bringen würde, dann fällt das zwar auf, aber am Ende auch nicht zu stark ins Gewicht.
Es ist leider nicht möglich, auf alle Choreografien einzugehen, aber es gibt eben Szenen, in denen jeweils auf ganz spezielle Weise, jene inneren Stimmen zu tanzenden werden, wo Vielstimmigkeit der Musik und Vielstimmigkeit der Persönlichkeiten miteinander in den tänzerischen Dialog kommen. Und das, ein weiterer Pluspunkt des Abends, auch nicht ganz ohne Humor und Ironie. Neben wirklich berührendem Einsamkeitsempfinden in einer Szene von Elise de Heer, die sie mit Cesare Di Laghi tanzt, oder Viktoria Leschs Solo, ihr Tanz gegen den Tod, dann eben ein so witziges wie skurriles Trio.
Drei Tagträumer oder Träumerinnen – diese Grenzen verschwimmen immer wieder – von Gilda De Vecchis, in langen Röcken: tänzerische Mutproben, zu dem zu stehen, was eben unter den Röcken ist, oder auch nicht.
Die Kreation mit dem Titel des Abends, „Choris Voces“ führt die ganze Kompanie bei wechselndem Zusammenfinden, bei unterschiedlichen Formen des Tanzes, eben wie im tanzenden Widerklang innerer Stimmen, in so kraftvolle wie sensible Dynamik. Es folgt „Let´s duet“, Edgar Ioannis Avetikyan, gemeinsam getanzt mit Filippo Nanucci: Ein glänzendes Duett, Tolle und kraftvolle Elemente der Street-Art-Dance-Kunst. Und das beinahe im Zwillingslook, schwarze Lack-Anzugsklamotten, zwei Fremde, zwei Freunde, auf der Suche nach sich, nach dem anderen, und das in einem fremden Land…„Wochenend und Sonnenschein“ mit den Comedian Harmonists..witziger Tiefgang: Masken ablegen, Glitzer auch, Hosen runter, gut so, schutzlos sind wir stark.
Und es ist auch toll zu sehen, wie Gilda De Vecchis und Efje van den Bergen ein herrliches Damensextett in luftigen Sommerkleidern tanzen lassen, ganz dem Anlass entsprechend, dem Ort, angemessen: Beschwingtheit einer Sommernacht. Und die Klischeefalle schlägt auch hier nicht zu.
Zum Finale, „Perpetuum Mobile“ – musikalischer Scherz von Johann Strauss, im Dialog mit dem der Comedian Harmonists. Da aber war ich dann leider schon auf dem Weg zum Bahnhof…Züge warten nicht, jedenfalls nicht bei der Abfahrt.
Aber im Zug dann, geht gar nicht anders, da waren sie präsent, diese inneren, tanzenden Stimmen, und mir war klar: Diese herrlichen Tänzerinnen und Tänzer haben sich ganz schön was zugemutet, mir auch, und das ist gut so.
Boris Gruhl