Bridgett Zehr (Maria Stuart), Ledian Soto (Leicester) © Yan Revazov
Kritiken

„Maria Stuart“ in Karlsruhe

Nicht eine, sondern gleich zwei weibliche Führungskräfte stehen im Mittelpunkt dieses zweihundert Jahre alten Dramas. Bridget Breiner macht eine Geschichte manipulierter Weiblichkeit daraus – und absurderweise ein Ballett für Männer, denn sie sind es, die hier den Großteil an Choreografie abbekommen. Mit Rückblicken, Intrigen und Darlegungen der Staatsraison beruht Friedrich Schillers „Maria Stuart“ sehr stark auf dem Wort, wenn es den Kampf zweier ungleicher Frauen schildert: hier die „jungfräuliche Königin“ Elisabeth I. von England, bedroht in ihrer Rolle als Herrscherin, umgeben von unlauteren Beratern, ständig an sich selbst und ihrer Macht zweifelnd; dort die Gefangene, das katholisch-reine und in sich ruhende Opfer Maria Stuart, Königin von Schottland. Zu einer exquisiten Auswahl englischer Musik formt die Karlsruher Ballettdirektorin aus Schillers Werk ein großes klassisches Ballett, ein düsteres Ausstattungsstück im Stil von Kenneth MacMillans „Mayerling“ oder David Bintleys „Edward II.“ – ein wenig aus der Zeit gefallen wirkt das schon.

Im Gegensatz zu Shakespeare findet man Schillers Werke sehr selten auf der Ballettbühne, nur Jeanne d’Arc hat es zu einigen Auftritten gebracht. Beim einzigen historisch etwas bekannteren Tanzstück mit Maria Stuart ist nicht einmal sicher, ob Schiller Pate stand: Martha Grahams „Episodes 1“ aus dem Jahr 1959 zeigt zu Musik von Anton Webern die Emotionen der schottischen Königin direkt vor ihrer Hinrichtung. In Karlsruhe nun bleibt Breiner eng an Schillers Vorlage und unterlegt ihr eine gemeinsam mit Daniele Squeo sorgfältig zusammengestellte Musik von Benjamin Britten und James MacMillan. Darunter ist sehr viel chorische, meist geistliche Musik, etwa aus dem „War Requiem“. Der Chor der Badischen Staatsoper steht mit auf der Bühne und sorgt, von Breiner in sparsame, aber erstaunlich natürliche Bewegung versetzt, für riesige Massenszenen.

Fotos: Yan Revazov

Bridgett Zehr (Maria Stuart)
Sophie Martin (Elisabeth I.), v.l. José Urrutia (Burleigh), Timoteo Mock (Paulet), Joshua Swain (Shrewsbury), Leonid Leontev (Mortimer)

Die „Schattenkönigin“ aus Schottland, die Elisabeths Herrschaftsanspruch bedroht, tritt tatsächlich als Schatten auf – immer wieder geistert Maria Stuart in ihrem blauen Kleid durch die Menge und durch Elisabeths Imagination; die englische Königin trägt durchgehend ein fahles, neidisches Gelb. Die schemenhafte Maria stiehlt den Narren ihre Pappkrone und geht damit zum Thron oder sie dient als Schreibunterlage für ihr eigenes Todesurteil. Ein Pas de deux mit Graf Leicester, der hier genau wie bei Schiller zwischen den beiden Frauen steht, bleibt kurz und konventionell, erst bei der großen Konfrontation mit Elisabeth im zweiten Akt gewinnt Maria wirklich Statur und Persönlichkeit. Die bis dahin in steifen Roben gewandete Elisabeth stürmt in dieser spannenden Szene in Hosen und Stiefeln herein, umgeben von Speerträgern und ihrem gesamten Hofstaat, aus dem militaristisch-mystische Geisterwesen mit silbernen Helmmasken hervorbrechen. Das Streitgespräch zwischen den Königinnen beginnt als ein eloquenter Tanz der Hände und weitet sich zum doch leicht zickig anmutenden Ganzkörpereinsatz. Fackelträger stürmen nach dem Messerattentat auf Elisabeth herein, plötzlich tanzt die ganze Bühne. Aber Sprünge, Drehungen, all die virtuosen Einlagen sind fast nur den Männern vorbehalten: Elisabeths Hofstaat und ihren Beratern, den Wächtern, einem Raum voll männlicher Adliger, die im bedrohlichen Unisono über Marias Schicksal entscheiden. Die beiden Königinnen sind kaum in Bewegung, Elisabeth tanzt nach 40 Minuten zum ersten Mal, vorher schreitet sie durch Tableaus, ringt mit Dokumenten und zweifelt mimisch an sich. Selbst in den Pas de deux mit Graf Leicester werden beide Frauen nach konventioneller Ballettmanier gebogen, gehoben, gehalten.

Bridgett Zehr (Maria Stuart), Sophie Martin (Elisabeth I.)
Bridgett Zehr (Maria Stuart), Staatsopernchor, Staatsballett

Auch wenn die eine gefangen ist und die andere sich bedroht fühlt, hätten die beiden Königinnen mehr Selbstbewusstsein verdient. Folgt Breiner hier nicht Schillers antikem Frauenbild zu sehr, wenn sie ständig die Männer manipulieren, entscheiden und tanzen lässt? Wie fühlt sich eine Frau in dieser Welt, hätte man nicht das ausführlicher choreografieren sollen? Die Titelheldin findet erst im Tod zu großer Würde, auch das nur schreitend: Maria zieht ihren blauen Mantel aus und steht im blutroten Kleid da, dessen überlange Schleppe zur Blutspur wird, wenn sie aufs Schafott steigt. Sie segnet noch den Henker, der Chor flüstert leise – Breiner findet immer wieder ins Mark treffende Szenen, aber sie erzählt in Bildern, nicht in Bewegung. Die Choreografie bleibt sehr konventionell im klassischen Erzählballettstil eines Kenneth MacMillan, das Corps de ballet meistert hohe Hebungen, weite Manegen und eindrucksvolle Sprünge. Es gibt kaum Brüche, einmal greift Breiner gar auf die klassisch-romantische Pantomime-Bewegung für „du bist schön“ zurück. Dass man sowas heute noch sehen kann… Aber trotz der schlüssigen Struktur ist der Tanz nicht nach dramaturgischer Notwendigkeit verteilt, sondern eher nach Divertissement-Manier, etwa auf die zum Schäferspiel aufgehübschten Besucher vom französischen Hof, auf ein Häuflein Narren, Soldaten oder Geister. In der Szene im Garten, wenn sich auf Jürgen Franz Kirners durchgehend dunkler Bühne endlich ein Stück Himmel auftut, bekommt erst einmal die treue Zofe Hannah ein Solo, bevor wir etwas von Maria sehen: wen interessiert das? Kurz vor Schluss legt dann plötzlich der Staatssekretär, der Maria Stuarts Todesurteil aufsetzt, noch einen grotesken Auftritt hin.

Staatsballett & Staatsopernchor
Sophie Martin (Elisabeth I.)

Spektakulär sind die großen Vorhänge aus Ketten, die über der Bühne hängen. Sie werden im Licht zu Segeln oder Wolken und weisen doch ständig auf das Gefängnis hin, in dem Maria wirklich und Elisabeth symbolisch sitzen. Heruntergelassen dienen die Ketten als Abgrenzung oder sie rasseln, wenn jemand hindurchstürmt. Der Chor trägt elisabethanische Roben, zusammen mit der wunderbaren Badischen Staatskapelle unter Dominic Limburg bekommt die Aufführung oft die Anmutung eines grandiosen, aber halt recht statischen Ausstattungsspektakels. In die beiden Frauen hinein sehen wir kaum. Sophie Martin macht aus ihrer Elisabeth eine einsame Unnahbare, Bridgett Zehr zeigt als schmale, eigenwillige Maria die Frau als Opfer – letztlich als Opfer der Männer, aber auch der Eifersucht einer anderen Frau. Bridget Breiner löst sich zu wenig vom klischeebehafteten Frauenbild der damaligen Zeit: Wie hätte man durch zwei, drei aussagekräftige Soloauftritte auf der weiten Bühne, vielleicht durch Aufspaltungen, Alter Egos oder einen der Tricks aus dem Neumeier-und-Co.-Repertoire doch Elisabeth und Maria als spannende, tiefe Persönlichkeiten herausstellen können… Sogar Graf Leicester scheint hier mehr Charakter zu haben, er verehrt beide Königinnen und Ledian Soto schafft es, den windigen Liebhaber als ehrlich fühlenden Mann zu porträtieren. Leonid Leontev ist ein stürmisch verliebter Mortimer, Francesca Berruto die besorgte Zofe, Baris Comak ein bedrohlich stiller Henker. Er ist es, der zum zynischen Schlussbild Elisabeth ihre Krone reicht.

Angela Reinhardt