Die neue Juniorkompanie von Gauthier Dance in Stuttgart
von Angela Reinhardt
Oops, he did it again: 16 Jahre nach dem Start von Gauthier Dance im Theaterhaus hat Wirbelwind Eric Gauthier an gleicher Stelle eine zweite Kompanie gegründet, womit Stuttgart nun auf drei feste Tanzensembles stolz sein darf. Auch die Gauthier Dance Juniors starteten unter großem Jubel in ihre Existenz, mit viel anwesender Prominenz aus Politik und Tanz der Stadt. Der Programmtitel „Renaissance“ bezeichnet quasi die zweite Geburt – und vielleicht liegt da das winzige Stirnrunzeln begründet, das sich trotz großer Choreografennamen, trotz einer weiten Vielfalt moderner Stile einstellte. Denn im Grunde wirken die Juniors wie eine Kopie von Gauthier Dance.
Alle Fotos: © Jeanette Bak

Genau wie 2008 hat der unermüdliche Kanadier sechs junge, sehr unterschiedliche Persönlichkeiten ausgesucht: Rebecca Amoroso, Rong Chang, Stefano Gallelli, Ayda Frances Güneri, Joan Jansana Escobedo und Mathilde Roberge stammen aus Italien, Taiwan, Kanada, der Türkei und Spanien, sie werden mit ihren erstaunlich ernsten Gedanken in kurzen, trefflichen Filmporträts vorgestellt. Auf dem Programm des Abends stehen zwei Uraufführungen, zwei Übernahmen vom NDT 2 und eine vom Kroatischen Nationalballett aus Rijeka. Bis auf eine Ausnahme stammen diese Stücke alle von Choreografen, die bereits mit der Hauptkompanie gearbeitet haben, genau wie Eric Gauthiers Tanzfilm „Grand Voyage“. Der zeigt, mit ein paar recht voraussehbaren Metaphern, die Reise der Tänzerin Mathilde Roberge (und vor mehreren Jahrzehnten auch die von Eric Gauthier) vom kalten Kanada nach Stuttgart, von der Ballettschule zum erwachsenen Künstler, letztlich die Reise zu sich selbst.
Sharon Eyal gehört mit der Überwältigungstaktik ihrer endlosen Trippelschritte auf der Stelle zu den begehrtesten Choreografinnen der Gegenwart. Gegen die unerbittlichen Phasenverschiebungen ihrer aktuellen Stücke wirkt das Frühwerk „Sara“ fast noch menschlich, obwohl die Tänzer in ihren schwarzglänzenden Anzügen wie Lurche aus einem Science-Fiction-Film aussehen. Eine einzelne Frau trippelt abseits, singt stumm die Worte eines unheimlichen Songs von „The Knife“ mit, signalisiert mit den Händen Nichts-Sehen und Nichts-Sagen. Es sieht sehr cool und ein wenig nichtssagend aus. Marco Goecke kehrt nach einer heftigen, hauptsächlich von Nicht-Tanzkennern getragenen Empörungswelle wieder in die Programme zurück, weil es einfach nicht ohne ihn geht. Sein „Midnight Raga“ bringt die jungen Tänzer groß heraus, wobei ihnen vielleicht doch die androgyne Note in dem gefräßig-irritierten Umkreisen zweier Männer fehlt. Joan Jansana Escobedo und Stefano Gallelli tanzen mit großem Druck, anstatt mit Dynamik und Musik zu spielen. Nach ihren Alleingängen zu indischer Musik begegnen sie sich zu einem Song von Etta James in Symmetrien und Spiegelungen; dann gelingt die Balance aus starkem Gefühl, nervöser Bewegung und feiner Umsetzung weit besser.

Maurice Ravels „Bolero“ fand bei der Uraufführung mit Ida Rubinstein auf einem Tisch statt und auch in seiner berühmtesten Neudeutung von Maurice Béjart. Andonis Foniadakis hat gleich fünf kleine runde Plattformen dabei, aber bei ihm sind es Trampoline, auf denen die Tänzer in knallbunter 80er-Jahre-Mode zu dem berühmten Rhythmus herumhopsen. Wohl lassen sich die fünf Interpreten in geometrischen Ordnungen oder um die zentrale Solistin arrangieren, wohl bringt der griechische Choreograf Anklänge von Voguing und Marsch-Folklore hinein, aber die winzige Fläche begrenzt doch stark die Einfallskraft. Sagen wir so: Die Musik und die Farben tragen viel zur Begeisterung bei.

Rena Butler, aufstrebender Jungstar aus den USA, vereint für ihre Neukreation „Umbra Penumbra“ („Schatten Halbschatten“) die größte Tänzerin Rebecca Amoroso und den kleinsten Tänzer Rong Chang. Wie ein Terrorist maskiert bedroht er die blonde Schönheit als ihr dunkler Schatten. Zu stark rhythmischem Scat-Gesang überrascht Butlers zeitgenössisch-freier Bewegungsstil mit einem großen Vokabular und spontanen Dynamik-Wechseln. Bald tauschen Mensch und Schatten die Rollen, schließlich scheint sich die Borderline-Persönlichkeit mit sich selbst zu versöhnen. Neben so stark stilisierten Stilen wie dem von Eyal oder Goecke ist dieser freie, lockere Tanz definitiv eine Entdeckung.


Sharon Eyal: “Sara” mit Ayda Frances Güneri
Auch Barak Marshalls Uraufführung sorgt für Abwechslung: Der einstige Hauschoreograf der Batsheva Dance Company widmet „At the River Styx“ seinem verstorbenen Vater und zeigt ein tragikomisches Tanztheater. In wunderbar nostalgischen Kostümen von Gudrun Schretzmeier sehen wir Lebensbahnen in Fast-Forward, skurrile Wiederbelebungen per Blasebalg, lustige Sterbende, die noch ihr letztes Mahl bestellen und einen kleinen Nachen, der sie dann titelgemäß hinausschippert. Zu jiddischen Liedern, sanften Walzern und fröhlicher Balkan-Folklore geschieht hier reichlich Absurdes, dem allgegenwärtigen Tod wird ins Gesicht gelacht und doch bebt die sepiafarbene Miniatur vor Liebe zu den Menschen. Beflissen reicht die Gruppe Requisiten an, bewegt Tote und groovt sich immer wieder als Gaga-Kollektiv ein. Vielleicht können die jungen Tänzer ihre Qualitäten in solch kleinen, speziell für sie gemachten Szenen derzeit noch besser beweisen, als sich an großen Namen abzuarbeiten. Und vielleicht hatte Eric Gauthier, im Rückblick betrachtet, damals 2008 genau die richtige Portion Humor für einen Neustart in sein erstes Programm „Sixpack“ dosiert.