© Thomas Kirchgraber
Ballroom

Arūnas Bižokas über Tanzen als Kunstform

Die Rückkehr von Eleganz und Wertschätzung.

von Ute FISCHBACH-KIRCHGRABER

Die Tanzwelt darf sich glücklich schätzen, dass es nun mit der World Dance Organisation (WDO) einen erfolgreichen neuen Verband gibt, der sich nur eines auf die Fahnen geschrieben hat: Tanzen! Einen Verband, der sich konsequent aus allen Querelen zwischen WDFS und WDC heraushält. Und der nur ein Ziel kennt: Tänzern – aus welchem Verband auch immer – das Tanzen zu ermöglichen bei Turnieren in einem angenehmen Ambiente, das einem kulturellen Ereignis angemessen ist. Denn Tanzen wird hier in erster Linie als Kunst betrachtet und weniger als Sport. Und die Tänzer werden herzlich willkommen geheißen und wertgeschätzt.

Eine Vision, fast zu schön, um wahr zu sein. Aber mit Hilfe äußerst engagierter Menschen, die in unermüdlichem Einsatz tätig sind, werden weltweit immer mehr solcher Tanz-Events angeboten – und die Anzahl der Tänzer, die auch weltweit dazu anreisen, ist permanent im Steigen. Logistische Meisterleistungen sind gefragt, wenn alleine beim „Lion” in München innerhalb von zwei Tagen 5.000 Starts bewältigt werden müssen. Das heißt 2.500 Starts täglich, während die vielgerühmten German Open Championships des WDSF in Stuttgart heuer für 7.000 Starts fünf Tage brauchten, also um die 1.500 Starts täglich verzeichnen konnten. Die Präferenz der Tänzer lässt sich da klar ablesen.

Zum „Lion“ angereist ist auch WDO-Chef Arūnas Bižokas, der dabei ist, wenn erstmals eine Weltmeisterschaft im Solotanzen ausgetragen wird. Eine gute Gelegenheit, ihn bei einem Workshop zu erleben und über die Zukunft des Tanzens befragen zu können. Als zehnfacher Weltmeister der Professionals kennt er die sinnvollen Entwicklungs-Möglichkeiten des Standardtanzens wie kein anderer.

Zuerst einmal spontan gefragt: Was halten Sie vom tänzerischen Niveau der Workshop-Teilnehmer?

Ich bin beeindruckt von diesen jungen Menschen. Viele von ihnen kommen aus der Ukraine.

Und wie sehen Sie ingesamt die Lage in der Tanzwelt?

Die Zahl der Tänzer erhöht sich nicht insgesamt. Natürlich wurde früher im allgemeinen mehr getanzt. Zu meiner Zeit haben 80 Prozent der Schüler meiner Klasse getanzt. Das war selbstverständlich. Aber wenn die Anzahl der Tänzer in der WDO kontinuierlich steigt, dann kommen sie von den anderen Organisationen. Uns geht es darum, gute Konditionen zu bieten.

Die WDO verspricht Tanzen ohne Restriktionen. Freedom to Dance sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Aber angehende Tänzer werden in Deutschland in den Tanzclubs ganz auf die Linie des WDSF eingeschworen, Tanzen stark zu reglementieren und als Sport zu betrachten.

Tänzer suchen gerade die Alternative. Denn Tanzen als Sport ist eine Sackgasse. Uns ist Individualität sehr wichtig. Wir wollen Tänzer und ihren eigenen Stil sehen. Mit uns haben die Leute eine Wahl. Wer nicht Athlet sein will, kommt zu uns, die anderen gehen eben zum anderen Verband…

Der WDSF hat nicht nur die Öffentlichkeit, sondern auch die Institutionen und die Politik infiltriert, so dass sie alleine öffentliche Fördermittel vergeben können. Wie geht man bei der WDO damit um?

Wir erheben keinen Alleinvertretungsanspruch. Es sind die Medien, vor allem die Social Media, die heute das Bild vom Tanzen in der Öffentlichkeit prägen. Jeder sollte tanzen, und ich will Tanzen nicht exponiert sehen.

Fotos: Thomas Kirchgraber

Arunas Bizokas und Katusha Demidiva stehen für Leichtigkeit, Eleganz und Freude

Der Fokus der WSDF liegt darauf, Tanzen einer breiten Klientel zu eröffnen. Jeder kann da teilhaben, wenn er will. Aber aus der breiten Basis kommen kaum Leistungsträger. Und diejenigen, die sich ans Turniertanzen wagen, sind eher daran interessiert, möglichst schnell zu gewinnen. Das heißt, sie wollen es nicht wirklich lernen, sondern erwarten von ihrem Coach einen Quickfix bei Problemen, der sie dann eine Runde weiterbringen soll… Leider lassen sich zu viele Coaches darauf ein, weil die Zahl der Tänzer schwindet. Tanzen wird so zu einer Fake-Veranstaltung.

Vieles ist schneller geworden in unserer Zeit. Wir wollen alles sofort, jedenfalls sehr schnell. Das ist die Art, wie wir heute kommunizieren. Früher musste man noch Briefe schreiben und auf die Antwort warten…Das ist ein Problem der Gesamtgesellschaft, nicht nur der Tanzwelt. Heute sind Tänzer meist an sich selbst interessiert. Es geht um Angebot und Nachfrage, wenn es denn Lehrer gibt, die einen Quickfix von Problemen anbieten. Aber man muss vorsichtig sein, denn man kann viel Schaden anrichten.

Sollte Tanzen für mehr Wertschätzung wieder exklusiver werden – nicht für ein breites Publikum, sondern für ein eher kleineres, aber kundiges?

 Nein, das ist nicht gut. Tanzen sollte für jeden und jede offen stehen. Wünschenswert wäre, dass mehr Leute teilnehmen und sich freuen. Dann wird Tanzen auch in der Öffentlichkeit wieder wichtiger, aber das braucht drei bis vier Dekaden. Weltweit gesehen, wird immer getanzt.

Sie selbst unterrichten gerne Basics, also Grundlagen. Worauf sollte der Fokus beim Tanzen liegen?

Ich will mehr Authentizität und Styles, die aus der Tradition heraus entwickelt sind. Es geht um Musikalität, um die Qualität der Bewegungen und um künstlerische Expression. Manche junge Tänzer sind physisch stark und hüpfen gerne. Sie bevorzugen den sportlichen Style.

Wie sollte Tanzen sich entwickeln?

 Ich wünsche mir Tanzen als Kunstform, eine Qualität mit Verständnis der historischen Herkunft für die Zukunft das Tanzens. Natürlich sucht man eine Inspiration von außerhalb, etwa im Ballett. Wir sollten Tanzen nicht zu geschlossen halten. Top-Tänzer haben viel Einfluss, in welche Richtung es geht. Gewisse Bewegungen haben sich so entwickelt und sind übernommen worden. Das ist graduell gut so. Anderes wäre zu radikal.

Ihr Blick in die Zukunft?

 Es gibt immer mal ein Zunehmen und ein Abnehmen der Tänzerzahl, das ist in jedem Land so. Die Zukunft wird gut werden – hoffentlich. Wir machen, was wir können. Es wäre sehr traurig, wenn Tanzen einfach verschwände. Aber ich bin zuversichtlich.