Das Ballett am Rhein in Düsseldorf hat die Gastchoreographinnen Twyla Tharp und Aszure Barton eingeladen, zwei Stücke über das Leben, Begegnungen und Menschlichkeit auf die Bühne zu bringen.
Ein Trio trägt hoch über dem Kopf menschengroße, leichte Sternobjekte über die Bühne. Dazu eine sich steigernde Melodie mit einem klopfenden, monotonen Rhythmus. Alles fließt dahin und greift ineinander wie die Zahnräder eines Uhrwerks. Es ist die Reise eines Helden, ausdrucksvoll verkörpert von Eric White, der das Licht der Welt erblickt und sich durch Menschengruppen kämpft, die ihm auf seinem Lebensweg begegnen. An seiner Seite steht ihm die bezaubernde Feline van Dijken als starke Begleiterin bei. Zeit und Jugend, getanzt von Dukin Seo und Evan L’Hirondelle erinnern den Helden an seine Vergänglichkeit. Die voller Lebensfreude tanzende Gemeinschaft wird erst gestört, als der Demagoge, ausdrucksstark umgesetzt von Orazio di Bella, auf die Bühne tritt und die Weltordnung mit seinem Gefolge durcheinanderbringt und mit dem Bösen konfrontiert. Als Konstante gibt es den Nordstern als geographische Orientierung am hell erleuchteten Sternenhimmel. Der Nordstern, getanzt von Julio Morel, verlässt die Bühne nie, er kämpft mit seiner inneren Welt und nimmt nicht an der Bühnenhandlung teil. Meditativ versunken, nimmt der Tänzer die anderen um sich herum kaum wahr. Während Tänzerinnen und Tänzer um ihn herumwirbeln, zeigt Morel mit enormer Ausdauer und Ausdruckskraft, tranceartige, pulsierende Bewegungen aus seiner Körpermitte heraus. „Commentaries on the Floating World“ von Twyla Tharp ist eine universelle Geschichte. Hier werden abstrakte und narrative Elemente miteinander verwoben. Die Bühne wird zu einem Welttheater im großen Universum, das Zeit, Chaos und Raum beinhaltet. Die Harmonie bringen die Hüter der Ordnung, getanzt von Lara Delfino, Nelson Lopéz Garlo und Kauan Soares, die stets versuchen, alles wieder ins Gleichgewicht zu bringen.
Kurz vor ihrem 80. Geburtstag hat die immer noch quirlige Grande Dame für das Ballett am Rhein eine passende Uraufführung kreiert. Per Video-Live-Schalte studierte Twyla Tharp von New York aus mit den Tänzerinnen und Tänzern der neu zusammengesetzten Compagnie die Choreographie ein. Zu Terry Rileys berühmter Minimal Komposition „In C“ ist ein dynamisch belebtes Stück entstanden: eine universelle Geschichte über das Leben, eine Heldenreise durch Chaos und Struktur, durch eine sich in Bewegung befindende Welt, in der jeder seinen Weg finden muss. Die Compagnie Ballett am Rhein hat diese Geschichte mitreißend und voller Energie umgesetzt.
In dem zweiten Stück des Abends „Come in“ von der kanadischen Choreographin Aszure Barton geht es sanfter zu. Eine erhobene Hand, ein suchender Zeigefinger, der Griff an die Kehle oder unters Kinn. Zwölf Tänzer sitzen auf Stühlen oder stehen, schauen sich achtsam an oder blicken gemeinsam in eine Richtung. Die Tänzer strahlen Ruhe aus. Sie kommen und gehen in einem fließendem Rhythmus. So wie im Leben, das von Ankommen und Fortgehen, Geburt und Tod geprägt ist. „Come in“ wirkt wie eine Einladung, Menschen sowie sich selbst achtsam kennenzulernen. Das Stück lässt Raum für individuellen Ausdruck und ein harmonisches Miteinander. Jeder Charakter fügt sich wie ein Steinchen in das große Tanzmosaik ein und macht es zu einem großartigen Gesamtbild. Ganz leicht und authentisch darf sich hier jeder Tänzer aus über 20 Nationen der noch jungen Compagnie von Demis Volpi präsentieren und trägt somit seine individuelle Handschrift zum Stück bei. Die gemeinsame Sprache, die hier gesprochen wird, ist der Tanz. Es gibt viele Wiederholungen in dieser Choreographie, die bewegt und sowohl musikalisch als auch tänzerisch das Herz berührt. Franziska Früh spielt die Violine mit Ausdauer und viel Gefühl. Die kanadische Choreographin Aszure Barton schuf als erste „Choreographer in Residence“ am Baryshnikov Art Center in New York das Stück „Come In“ 2006 für den Ballettstar Mikhail Baryshnikov und die Hell’s Kitchen Dance Company. Die Choreographie wurde für das Ballett am Rhein adaptiert. Zur Musik von Vladimir Martynov hat Barton eine poetisch leise, aber dringlich nachwirkende Arbeit in die Welt gesetzt. Die zwölf Tänzer vom Ballett am Rhein zeigen in diesem Stück keine tänzerische Hochakrobatik, aber sie schreiben mit ihrem individuellen Ausdruck Poesie, die im Herzen bleibt.
Viola Gräfenstein