Editorial
Tanz am Abgrund
In Wuppertal gibt es ab sofort kein Schauspielhaus mehr; der mit zwei Milliarden Euro hoch verschuldeten Stadt fehlt das Geld zur Sanierung des maroden Gebäudes. Die Bühnen Halle sollen 3 Millionen Euro einsparen und ducken sich unter dem Damoklesschwert der Insolvenz, in Sachsen-Anhalt sind gleich zwei Theater von massiven Einsparungen bedroht: die Landesbühne Sachsen-Anhalt in Eisleben und das Anhaltische Theater Dessau bangen um ihre Existenz. Man könnte noch mehr Beispiele aufzählen; Deutschland, das Land der Dichter und Denker, legt den Theatern die Daumenschrauben an, und das nicht erst seit gestern.
War es vor Jahren vor allem die Tanzsparte, die als ungeliebtes Stiefkind weggespart wurde, so dehnen sich die Kürzungen stetig weiter aus. Mittlerweile sind auch Schauspiel und Oper nicht mehr sicher; wo es an Geld fehlt, wird gerne aufs Theater geschielt, als reiche es, Kinder in der Schule Dramen lesen zu lassen oder in Privatstunden mit dem Musiklehrer vom Blatt zu spielen. Es ist erschreckend, wie wenig Wert den Landesregierungen die Kultur zu sein scheint, als gebe es keine Musik-Geschichte, keine Schauspieltradition, kein Tanz-Erbe. Als sei der Mensch nur noch dazu da, das Bruttosozialprodukt zu steigern.
Dabei lehrt die Erfahrung: Ist eine Sparte einmal weg, gibt es kaum noch ein Zurück. Die Millionenstadt Köln ist ein trauriges Beispiel dafür. Obwohl Jochen Ulrich in den 1970er und 1980er Jahren mit seinem „Tanzforum Köln“ – der ersten modernen Tanzkompanie in Deutschland – beeindruckende Pionierarbeit geleistet hat, sollte sich der Tanzchef nach 27 Jahren eine neue Aufgabe suchen. Da er unkündbar war, wurde ihm ein Job als Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit angetragen – ein lächerliches Angebot für einen Künstler wie ihn. Ulrichs Versuch, sich mit dem Tanzforum als GmbH unabhängig zu machen, scheiterte kläglich. Nie wieder gab es danach eine Tanzsparte, die von den Städtischen Bühnen getragen wurde. Schon seit Jahren existiert der Bühnen-Tanz in Köln nur noch in Form internationaler Gastspiele, die jüngst noch einmal auf ein Minimum gekürzt wurden, ganz zu schweigen von der freien Szene, deren Arbeitsbedingungen unsäglich sind. Jetzt steht in der Domstadt auch noch das Zentrum für zeitgenössischen Tanz an der Hochschule für Musik und Tanz auf der Kippe, und das alles in der viertgrößten Stadt Deutschlands!
Wenn das so weitergeht, ist Kultur irgendwann ein Luxusgut, das sich nur noch die Reichen leisten können. Die machen sich dann mit ihren Kinder auf zur Bildungsreise nach New York oder Paris, wo es noch große Ballettkompagnien gibt, denn in Deutschland ist ja alles weggespart. Eine maßlose, groteske Übertreibung? Hoffen wir es…
Isabell Steinböck
Foto: Anhaltisches Theater Dessau – Die Bürger protestieren und verankern ihr Theater. (Jan-Pieter Fuhr)