Editorial
Muss sich ein Balletttänzer verbiegen? Als Künstler auf der Bühne sicherlich, das gehört zu seinem Job, aber muss er sich auch privat für Promotionzwecke verstellen? Das Bayerische Staatsballett meint: Ja, und retouchiert dem Ersten Solisten, Tigran Mikayelyan, die Zigarette aus der Hand. Auf der Rückseite der aktuellen Ausgabe von „Ballett Extra“, einer Beilage der „Süddeutschen Zeitung“ und „Max Joseph“ (Magazin der Bayerischen Staatsoper), ist er abgebildet. In einem ruhigen Moment sieht man ihn, zurückgezogen zwischen diversen Proben, das Handy in der einen Hand, zwischen den Fingern der anderen: nichts. Wer genauer hinsieht, bemerkt die fehlende Zigarette sofort.
Der Tänzer und sein Fotograf, Thomas Kirchgraber, sind gegen die Verfälschung des Bildes angegangen, konnten sich aber nicht durchsetzen. Es klingt wie ein Witz, aber anscheinend muss Tanz nicht nur kunstvoll sein und das Publikum begeistern, sondern es auch erziehen. Dieser Auffassung scheint zumindest Susanne Ullmann zu sein, Sprecherin des Staatsballetts und neben Bettina Wagner-Bergelt Redakteurin von „Ballett Extra“. Auf Nachfrage des digitalen Feuilletons „Kulturvollzug“ begründet sie den digitalen Eingriff tatsächlich mit pädagogischen Zwecken. Dabei weiß wirklich jeder, der einmal mit Tänzern zu tun hatte, dass Rauchen – so gesundheitsschädlich es auch sei – für viele Künstler dazugehört. Das werden auch Münchens Ballett-Eleven früher oder später erfahren, ganz zu schweigen von Teens, die mit Ballett ohnehin nichts anfangen können. Und selbst wenn: Müssen Tänzer nun auch noch Abziehbilder für eine „saubere Umwelt“ sein? Bei einem Popstar würde man darüber nur lachen.
Wenn wir schon das Glück haben, Künstler wie Tigran Mikayelyan auf einem gelungenen Foto, in privater Atmosphäre zu sehen, dann bitte authentisch und echt! Sonst kommt demnächst in München noch jemand auf die orthopädisch gut gemeinte Idee, und schreibt unter Künstler-Verträge: „Das Bayerische Staatsballett warnt: Tanzen gefährdet die Gesundheit“.
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