Die Compagnie des Tanztheater Wuppertal glänzt zum Programmauftakt mit einer turbulenten Neueinstudierung von „Água“. Das Stück der verstorbenen Choreografin Pina Bausch kam 2001 das erste Mal auf die Bühne und ist eine internationale Koproduktion mit Brasilien, dem Goethe Institut São Paulo und Emilio Kalil. In drei Stunden zeigen die Tänzerinnen und Tänzer mit „Água“ eine Ode an den Tanz, die Natur, die Freude und das Leben.
Wer sich ein Stück vorstellt, in dem es bei dem Titel nur um Wasser geht, der wird bei „Água“ etwas länger darauf warten müssen, denn Wasser ist hier nur ein Teilaspekt, das immer wieder auftaucht, doch erst am Schluss die Bühne beherrscht. Dazwischen gibt es ganz viel Anderes, das die Zuschauer in bunte Welten einlädt.
Im Mittelpunkt stehen die 20 ausdrucksstarken Mitglieder des Tanztheater Wuppertal, die ihren ganz eigenen, selbstbestimmten Ausdruck haben. Mit ihren durchtrainierten, schönen Körpern in langen, bunten Seidenkleidern, Hemd und Hosen, von Marion Cito geschneidert, erzählen die Tänzerinnen und Tänzer Geschichten voller Lebensfreude. In einem wechselnden Mix aus Soli, Duetten und Gruppenchoreografien erhält jedes Mitglied der Compagnie die Gelegenheit, seine individuellen Facetten ausdrucksstark zu zeigen. Ganz besonders schön ist die Vielfalt, die diese Compagnie ausmacht. Die brasilianische Transfrau Naomi Brito, seit 2020 Mitglied, eröffnet das Geschehen auf der Bühne und begeistert bis zum Schluss mit ihrem außergewöhnlichen Charisma und ästhetischem Tanz.
In den getanzten Episoden geht es um die kleinen und großen Dramen des Lebens, Nörgeleien und das Hin und Her bei der Partnersuche. Zwischendurch halten Julie Shanahan, Ekaterina Shushakova oder Naomi Brito, ganz in der Tradition des Sprech- und Tanztheaters von Pina Bausch, humorvolle Monologe und Dialoge über Aussehen und Beziehungen und lockern die Inszenierung auf.
Schnell ist klar, „Água“ ist ein Ballett über das Leben, die Leichtigkeit und die Lebensfreude und hat nichts mit den manchmal etwas ernsten, leicht melancholischen Stücken von Pina Bausch zu tun. Hier wird in hohem Tempo umschmeichelt, umworben, geflirtet und kokettiert, wenn die Frauen mit langen Haaren und in weiten Kleidern über die Bühne wirbeln oder von ihren Tanzpartnern gehoben und gedreht werden. Auch die typischen, ausdrucksstarken Posen, wie Pina Bausch sie liebte, fehlen nicht. Wie fliegende Körper werden die Frauen von den Männern über die Bühne getragen, fallen unerschrocken in die Arme ihrer Partner oder werden starr wie ein Brett quer gehalten. Zwischendurch lümmeln sich die Tänzerinnen und Tänzer immer wieder auf weißen, zusammengeschobenen Sofas, flirten miteinander und genießen Cocktails wie auf einer großen, spaßigen Party, die auch dem Publikum einige Momente des Ausruhens in dieser rasanten Inszenierung schenkt.
Auf das Thema Wasser dürfen die Zuschauer zunächst etwas warten. Doch dann tauchen plötzlich schwimmende Schönheiten auf, die sich wie Goldfische im Wasser tummeln. Vorbeifahrende Segelschiffe und ein Holzfloß erinnern an Szenen aus dem Stummfilm „Tabu“ von Friedrich Wilhelm Murnau und vermitteln den Flair einer paradiesischen, heilen Südseewelt.
Ist das Publikum schon voller Eindrücke aus dem ersten Teil, dann kann es sich im zweiten Teil auf eine Extraportion Spaß und Bildgewalt freuen, denn hier geht es noch einmal richtig rund: Die Tänzerinnen und Tänzer geben sich eine Wasserschlacht, spucken und schlürfen das Wasser, das aus einer selbstgebauten Leitung sprudelt und demonstrieren unbekümmerte Lebensfreude. Zum Leben gehören auch Natur und Tiere, die hier zahlreich über die Leinwände flattern und hüpfen. Wasservögel, Flamingos und Affen beherrschen die Bühne. Ein haushoher Leopard bewegt sich im Duett mit dem wunderbaren Nicholas Losada, während sich die anderen Tänzerinnen und Tänzer im Dickicht des Dschungels verlieren. Dabei wechseln die phantasievollen Projektionen von Peter Pabst wie die Bilder beim Drehen an einem Kaleidoskop, wenn sich die kleinen, bunten Glitzersteinchen ständig neu formatieren und wunderschöne, neue Muster entstehen. So auch in „Água“. Neue Elemente, neue Formen, wechselnde Bilder und Begegnungen. Dazu brasilianische, spanische und amerikanische Klänge und Lieder, die pure Lust und Begeisterung verkörpern. Fazit: Wer eine große Portion Lebensfreude sucht, der sollte das Tanztheater „Água“ von Pina Bausch nicht verpassen.
Viola Gräfenstein